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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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anders?«
    Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen und besah mir dabei die Bücher im Regal, von denen einige das Thema Meditation behandelten. Kevin hatte sich auf dialektisch-behaviorale Therapie spezialisiert, bei der übliche Techniken aus der kognitiven Verhaltenstherapie mit den Konzepten von Hinnahme und Achtsamkeit kombiniert wurden, die sich zumeist aus buddhistischen Meditationspraktiken entwickelt hatten. Anderen Titeln nach zu urteilen, interessierte er sich außerdem für Philosophie. Aber ich wich seiner Frage aus.
    »Nein, ich denke nicht …« Ich fürchtete zwar, dass die Erinnerungen an eine verstörende Zeit in meinem Leben meine Objektivität beeinträchtigen könnten, aber er hatte recht: Aus ethischer Sicht sprach nichts dagegen, dass ich mit Heather arbeitete.
    »Vielleicht sollte ich bei ihr bleiben und es drauf ankommen lassen.«
    Kevin nickte zustimmend. »Wenn Sie noch einmal darüber reden müssen, sagen Sie mir Bescheid.«
    »Danke. Ich werde abwarten, wie sie sich in den nächsten paar Tagen entwickelt.«
    Später, in der Cafeteria, als ich mir noch einen Tee holte, dachte ich noch einmal über die Unterhaltung nach. Ich war mit einem merkwürdigen, seltsam unbehaglichen Gefühl gegangen, aber ich war mir nicht sicher, was der Grund dafür war. Weil ich einem Arbeitskollegen etwas Persönliches anvertraut hatte? Jemandem, den ich kaum kannte? Ich ermahnte mich, dass ich nicht viel erzählt hatte und es keinen Grund gab, mir Sorgen zu machen. Trotzdem beschlich mich das Gefühl, eine Tür geöffnet zu haben – und dass es zu spät war, sie wieder zu schließen.

5. Kapitel
    Wenn ich zurückblicke auf die erste Zeit in der Kommune, ehe Aaron begonnen hatte, die Gruppe anzuführen, wird mir bewusst, dass er gar nicht so alt gewesen war, erst zweiundzwanzig, aber damals war er mir wesentlich älter vorgekommen. Er war sich seiner selbst so sicher, so überzeugt von seinen Entscheidungen und Ansichten. Egal, was das Problem war, ein Feuer, das beinahe außer Kontrolle geriet, zur Neige gehende Lebensmittelvorräte, Ratten im Getreide, ein krankes Tier – er schien sich niemals zu sorgen. Er dachte kurz nach und präsentierte dann eine Lösung, und es funktionierte immer. Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der so viel lächelte, der stets glücklich und begeistert zu sein schien. Für ein Kind mit einer Mutter, deren Stimmungen mit dem Wind schwankten, und einem Vater, der andauernd zornig war, war es verwirrend, jemanden kennenzulernen, der jeden Tag so lebte, als wäre die Welt voll wunderbarer Dinge, die nur darauf warteten, entdeckt zu werden.
    Kurz nachdem meine Mom, Robbie und ich angekommen waren, gab Aaron ein wenig über sich preis. Eines Abends saßen wir am Lagerfeuer, und er spielte wie so oft auf seiner Gitarre. Es war erstaunlich, wie er quasi aus dem Nichts eine Melodie erkennen konnte, jemand brauchte nur die ersten Takte eines Liedes zu summen. Wie immer kletterten einige der kleinen Kinder überall auf ihm herum – sie alle liebten ihn für das Spielzeug, das er aus Holz für sie schnitzte, und weil er sie immer huckepack auf sich reiten ließ. Eines der Kinder war an Aaron geschmiegt eingeschlafen, und er hörte auf zu spielen, um den kleinen Jungen auf seinen Schoß zu ziehen. Ein anderes Mitglied fragte Aaron, ob er jemals eine Familie gründen wollte, und sein Blick schweifte in die Ferne, als er über das Haar des Kindes streichelte.
    »Ihr alle und Joseph seid meine Familie.« Aaron stammte aus San Francisco und hatte sich ein paar Wochen vor uns der Kommune angeschlossen. »Wir haben niemand anders.« Er warf Joseph einen raschen Blick zu. Joseph, der im Schatten am Feuer saß und seinen Bruder beobachtete. Aaron lächelte ihm zu.
    Eine Frau fragte: »Ihr habt niemanden?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, und das ist auch gut so. Unsere Eltern waren noch Teenager. Sobald Joseph da war, ist mein Dad abgehauen und hat uns mit unserer Mutter allein gelassen. Sie war Alkoholikerin.«
    Aaron übergab den kleinen Jungen wieder seiner Mutter, dann schob er das Hosenbein seiner Jeans hoch und zeigte uns die kleinen runden Narben, mit denen seine Schienbeine übersät waren. »Die stammen von Zigaretten.«
    Einige von uns schnappten nach Luft oder stießen mitfühlende Laute aus, und Joy, die wir gleich am ersten Tag kennengelernt hatten, legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das ist schrecklich.«
    »Das war nicht so schlimm wie das hier.« Er zog sein Hemd am

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