Blick in Die Angst
uns, dass Joseph auch spüren konnte, wer am meisten Heilung brauchte oder sich mit dem spirituellen Unterricht schwertat. Diese Mitglieder liefen Gefahr, zu erkranken, so dass Aaron sich mit ihnen zurückzog, während wir mit unseren Gesängen oder Meditationsübungen fortfuhren. Normalerweise waren es weibliche Mitglieder, die seine private Unterstützung brauchten, was er damit erklärte, dass wir intuitiver und deshalb anfälliger seien.
Manchmal blieb Joseph tagelang in seinem Zelt, verweigerte jegliche Nahrung und meditierte stundenlang. Dann lobte Aaron seinen Bruder für seine Hingabe, so dass die anderen Mitglieder anfingen, es ihm nachzumachen. Manchmal begann Joseph, nach einer Zeremonie in der Schwitzhütte wirres Zeug zu reden. »Im Wald sind böse Geister – ich kann sie singen hören.« Bisweilen hörte er auch Musik.
Aaron sagte: »Joseph reagiert empfindlicher auf negative Schwingungen als die meisten Menschen, so dass er Dinge auf einer anderen Ebene wahrnehmen kann.«
Inzwischen vermutete ich, dass Joseph unter einer schizoaffektiven Störung litt. Unbehandelt kann sie dazu führen, dass die Betroffenen Wahnvorstellungen und Paranoia entwickeln, und wenn er sich tagelang in seiner Hütte versteckte, durchlitt er vermutlich eine depressive Phase.
Als wir ein paar Monate in der Kommune waren, hatte Aaron während einer Meditation eine Vision, wie wir einen höheren Grad an Bewusstheit erlangen konnten, und bat darum, die Steine in der Schwitzhütte länger als üblich zu erhitzen. Die Steine wurden im Feuer in der Hütte erhitzt und anschließend mit Wasser übergossen. Er ging allein hinein, da er, wie er sagte, nicht wollte, dass jemand anders zu Schaden käme, falls irgendetwas schiefging. Er blieb stundenlang darin, während wir anderen ängstlich draußen warteten und Wasser und frisches Obst für ihn bereithielten. Endlich kam er auf allen vieren herausgekrochen, knallrot und desorientiert, redete wirr und verkündete lallend, er habe das Nirwana erreicht. Dann brach er zusammen.
Die Mitglieder eilten zu ihm und übergossen ihn mit kaltem Wasser, um seine Körpertemperatur zu senken, doch es dauerte eine Weile, bis er das Bewusstsein wiedererlangte. Als sein Kopf wieder klar war, stand er auf, weigerte sich, sich von irgendjemandem helfen zu lassen, obwohl er hin und her schwankte, und sagte: »Etwas Unglaubliches ist passiert. Ich bin gestorben und war drüben auf der anderen Seite. Ich habe es geschafft, wirklich.« Er fing an zu lachen, vor Entzücken zu lachen, wie ein Mann, der sein Glück nicht fassen konnte. Die Mitglieder schwiegen schockiert und sahen ihn verstört an. Er hob die Stimme, die immer noch verwaschen klang. »Ich spürte, wie ich emporgehoben wurde, und dann stand ich neben euch allen – ich habe sogar gesehen, wie Joy eine Tasse fallen gelassen hat.«
Joy schnappte nach Luft und hob eine Hand vor den Mund. »Das stimmt!«
»Ich sah jeden von euch, und ich hörte euch reden, als wäre ich in euren Köpfen. Dann spürte ich, wie ich hoch zum Himmel gezogen wurde, durch einen Tunnel. Am Ende war ein helles, weißes Licht, die Manifestation eines wunderbaren Geistwesens. Ich wurde ganz erfüllt von so viel Liebe und Frieden.« Seine Miene spiegelte die Wonne wider, die er empfunden hatte, sein Blick war verzückt und die Stimme fast ehrfürchtig bei der Erinnerung.
Aaron sagte, das Licht habe ihn gefragt, welches Wissen er erworben und wie er geliebt habe, und ihm Szenen aus seinem Leben gezeigt. Er erzählte, er habe einige Seelen gesehen, die immer noch im Tunnel feststeckten, und das Geistwesen habe ihm erklärt, sie hätten nicht genug gelernt und seien nicht in der Lage, hindurchzugehen, so dass sie zurück zur Erde geschickt würden, verdammt dazu, ihr Leben zu wiederholen. Das Geistwesen erzählte Aaron auch, dass diejenigen, die Selbstmord begingen, den Tunnel nicht würden durchschreiten können, bis sie geheilt waren – sie bräuchten mehr Zeit, um den Fehler ihrer Entscheidung zu erkennen. Dasselbe gälte für Drogenabhängige. Dann erklärte das Licht Aaron, er müsse das, was er erfahren habe, mit anderen teilen. »Ich hatte das Gefühl, gezogen zu werden, und dann flog ich rückwärts durch die Luft und war wieder in meinem Körper.«
Als er seinen Bericht beendet hatte, sagte zunächst niemand etwas. Alle waren sprachlos und von Ehrfurcht ergriffen, weil wir diesen Menschen in unserer Mitte hatten, jemanden so Besonderes wie Aaron.
Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher