Blick in Die Angst
sagte einer der Männer: »Hat das Licht gesagt, was wir tun müssen, damit wir den Tunnel passieren können, wenn unsere Zeit gekommen ist?«
Aaron erklärte, wir müssten all unsere Besitztümer teilen, wie ein einziger Organismus zusammenleben und uns dem allgemeinen Streben nach materiellem Reichtum verweigern. Wir müssten unser Leben der Erweckung unseres Geistes widmen, damit wir ganz würden und anderen helfen könnten. Dann bat er die Mitglieder, etwas Geld für unsere Sache zu spenden. Nur diejenigen, die wahrhaft glaubten, doch alle wollten beweisen, wie ernst es ihnen war, und spendeten alles, was sie besaßen. Manche kontaktierten sogar ihre Familien und baten sie, ihnen Geld zu leihen.
Damals staunte ich ehrfürchtig über Aarons Vision von der anderen Seite, aber jetzt, mit dem Wissen einer Erwachsenen, sah ich es als das, was es wirklich war. Viele Menschen, die behaupten, »drüben« gewesen zu sein, wachen mit einem erneuerten Glauben und dem tiefen Gefühl wieder auf, sie seien zu einem bestimmten Zweck auf der Welt, etwas, das gewiss auch auf Aaron zutraf. Aber meiner Meinung nach waren die meisten Nahtod-Erfahrungen lediglich eine Reihe körperlicher Reaktionen auf das Schwinden der Neurotransmitter im Gehirn. In Aarons Fall war seine sogenannte Nahtod-Erfahrung wahrscheinlich nichts anderes als eine Halluzination aufgrund eines Hitzschlags. Dass er »gesehen« hatte, wie Joy die Tasse fallen gelassen hatte, ließ sich ganz einfach durch eine Reaktion auf den akustischen Reiz erklären. Er hatte deliriert und vielleicht sogar das Bewusstsein verloren, doch sein Unterbewusstsein hatte das Geräusch registriert.
Doch damals glaubte ich ihm. Wir alle glaubten ihm.
Meine Mutter hatte früher immer kleine weiße Pillen gegen ihre Stimmungsschwankungen geschluckt. Oft umklammerte sie das Fläschchen mit bebenden Fingern und sagte, sie »käme nicht mit uns klar«, doch als sie mit den Heilungsmeditationen bei Aaron anfing, hörte sie auf, die Pillen zu nehmen. Jetzt schien sie permanent high zu sein, verschwand stundenlang mit Aaron in seiner Hütte und kam benommen wieder heraus, als wäre sie in einer Trance. Mit halbgeschlossenen Augen wanderte sie herum, sammelte eine Blume oder ein Blatt auf und betrachtete es verträumt. Es gefiel mir nicht, sie so entrückt zu sehen, als lebte sie in einer Seifenblase, in der ich sie nicht erreichen konnte. Und doch war es besser als ihre düsteren Stimmungen, bei denen ich in ständiger Angst lebte, sie könnte sich etwas antun. Ich wusste nicht, ob es am Marihuana lag, daran, dass wir von unserem Vater fort waren, oder an den Meditationen, aber letztendlich wirkte sie glücklicher als früher.
Robbie hatte sich ebenfalls verändert. Als wir in die Kommune zogen, hatte er anfangs auf mich aufgepasst, genau, wie er es die Jahre zuvor getan hatte. Mit Eltern wie unseren hatten wir früh lernen müssen, allein zurechtzukommen. Wenn mein Vater zum Fischen war und meine Mutter den ganzen Tag schlief, hatte er das Abendessen für mich zubereitet und oft auch mein Lunchpaket für die Schule. Er brachte unserer Mom etwas zu essen und erledigte alle Arbeiten rund ums Haus, fütterte die Tiere, schlug Feuerholz und hielt die Dinge am Laufen, bis sie wieder aus ihrem Zimmer gekrochen kam. Ich half, so gut ich konnte, aber da er älter und stärker war, trug er den größten Teil der Last auf seinen Schultern.
Wenn unser Vater am Toben war, brachte Robbie mich dazu, mich zu verstecken, und einmal hat er sogar die Schuld auf sich genommen für etwas, das ich getan hatte. Er sagte: »Ich wusste, dass er den Gürtel nehmen würde. Ich bin stärker als du. Ich kann es aushalten.«
In der Kommune fand er rasch Freunde, aber er sorgte dafür, dass ich nie allein herumsaß, und wenn er seine Aufgaben erledigt hatte, half er mir bei meinen. In den ersten Wochen und Monaten blickte ich oft auf, wenn die Mitglieder sich zum Satsang oder am Lagerfeuer trafen, und sah, dass er mich aufmerksam beobachtete. Er war mein Rettungsfloß in einem Ozean der Ungewissheit, der einzige Mensch in dieser neuen Welt, in der alle Regeln sich geändert hatten, auf den ich mich verlassen konnte. Doch dann begann er ebenfalls, von mir fortzudriften und seine Zeit lieber mit Levi oder den halbwüchsigen Mädchen in der Kommune zu verbringen – jede Nacht kroch er mit einer anderen in sein Zelt.
Ich war immer stärker auf mich allein angewiesen.
Wir begannen zu expandieren. Aaron wollte, dass
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