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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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die Jüngeren unter uns ins Dorf gingen und die Erzeugnisse, die wir in den Gewächshäusern gezogen hatten, auf dem Bauernmarkt verkauften und andere Menschen fanden, die bereit waren, sich unserer Gruppe anzuschließen. Das war nicht schwer. Die Mitglieder hatten eine frische Gesichtsfarbe und sahen gesund aus, unser Gemüse, die Kräuter, selbstgemachten Marmeladen, Backwaren und Eier waren immer der Renner. Die Mitglieder erklärten, dass alles biologisch war und dass unsere Hühner frei herumlaufen durften, während sie Flugblätter über die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft verteilten. Wenn jemand stehen blieb, um zuzuhören, erzählten wir von der Kommune, wie cool es war, wie fröhlich und frei wir waren. Wir nahmen auch Tramper mit, und Teenager, die beim Laden herumlungerten.
    Aaron kam oft mit uns, und er spürte immer sofort, wer ein gutes Ziel abgab. Vollkommen Fremde erzählten ihm nach wenigen Minuten ihre herzzerreißenden Geschichten. Er umarmte sie, tröstete sie und nahm sie in die Kommune mit, wo wir sie alle mit einem Teller Essen und einem Platz am Lagerfeuer begrüßten.
    Nach dem Essen erklärte Aaron, dass jeder von uns mit jedem einzelnen Grashalm und jedem Samenkorn verbunden und es unser Daseinszweck sei, Liebe und Achtsamkeit zu schenken. Alle nickten und stimmten zu, gaben den Joint weiter und umarmten ihre Nachbarn. Anschließend bat er die Neuen, eine kleine Aufgabe zu übernehmen, und sie erklärten sich immer bereit dazu. Schließlich verbrachten sie die Nacht bei uns. Am nächsten Morgen bat Aaron sie bei etwas anderem um Hilfe, irgendeine Gerätschaft zu bewegen oder etwas einzupflanzen. Die Arbeit dauerte den ganzen Tag, so dass sie schließlich noch eine Nacht bei uns verbrachten. Ehe sie es sich recht versahen, lebten sie in der Kommune.
    Aber es war auch kein Wunder, dass die Leute blieben. Die Kommune war der perfekte Ort, wenn man nicht mehr weiterwusste, wenn man Angst hatte, die Kontrolle über das eigene Leben zu übernehmen. Für mich war es genau das Gegenteil. Irgendetwas an Aaron schüchterte mich ein und machte mich nervös, und ich fürchtete mich vor Joseph. Rückblickend weiß ich, dass ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als misshandeltes Kind die Sprunghaftigkeit bei einem Menschen stärker spürte als andere. Aaron lebte seine Gefühle intensiv aus, und für ein Kind, das mit einer manischen Mutter und einem alkoholkranken Vater aufgewachsen war, war das gleichbedeutend mit Gefahr.
    Ende Mai waren wir auf sechzig Mitglieder angewachsen, und die Kommune brummte nur so vor Aktivität. Aaron hatte persönlich zwei Männer ausgewählt, Ocean und Xavier, die als spirituelle Berater mit allen arbeiten sollten, bei denen Aaron das Gefühl hatte, sie benötigten zusätzliche Hilfe, oder bei denen Joseph ein schlechtes Gefühl hatte. Vielleicht war das der Punkt, ab dem es bergab ging, ab dem die Dinge aufhörten, einfach zu sein. Ocean und Xavier standen da, betrachteten uns und flüsterten miteinander, während wir krank vor Anspannung warteten und uns fragten, wer sein Potential nicht ganz ausschöpfte. Dann begann Aaron allmählich, ein Bestrafungssystem einzuführen.
    Anfangs handelte es sich bei den Sanktionen um einfache Maßnahmen. Wer sich eine Extraportion Essen genommen hatte, durfte bei der nächsten Mahlzeit nicht mitessen. Wer seine Meditation unterbrach, um auf die Toilette zu gehen, musste abseits der Gruppe sitzen. Doch nach und nach wurde die Sache ernster. Wenn zwei Mitglieder sich stritten, wurden sie aneinandergebunden und mussten Seite an Seite auf dem Feld arbeiten. Als ein paar Leute zum Einkaufen in den Ort fuhren, erzählte jemand anschließend, ein anderer habe vom Geld der Kommune eine Zeitung gekauft, etwas, das Aaron streng untersagt hatte. Joseph geriet in Rage und begann, mit einem Zweig auf die Beine des Mannes einzupeitschen, und zu schreien, er würde böse Einflüsse in die Kommune bringen. Wir sahen entsetzt zu, bis Aaron schließlich dazwischenging und beschlossen wurde, dass der Mann einen Tag lang den Pflug über eines der Felder ziehen sollte. Wir waren alle aufgewühlt, nicht aber Joseph. Wir waren wütend auf den Mann, weil er unseren Frieden und die Harmonie gestört hatte, und selbst nachdem Aaron ihn für rehabilitiert erklärte, ignorierten wir ihn tagelang.
    Als ein junger Mann seine Freundin ins Gesicht schlug, weil sie mit einem anderen geflirtet hatte, befahl Aaron ihm, seine Siebensachen zu packen.

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