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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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Hause.«
    Jetzt hatte ich selbst das Gefühl, mich verteidigen zu müssen. »Und warum sind wir dann fortgegangen?«
    Sie zuckte am ganzen Leib zusammen, als hätte ich sie geschlagen, und brauchte einen Moment, ehe sie sprach. »Dieser kleine Junge …« Ihr Blick wurde traurig. »Er war so niedlich, eigentlich noch ein Baby.« Ich war überrascht von ihrer heftigen Reaktion nach so langer Zeit, von ihrer kummervollen Miene, und dachte, sie würde anfangen zu weinen. Doch dann streifte sie die Handschuhe ab und rieb sich mit der Hand über die Nase. Mit einer ärgerlichen Bewegung schüttelte sie den Kopf. »Das Sozialamt schaltete sich ein, die Cops. Es hätte euch Kindern nicht gutgetan, noch länger dort zu wohnen. Euer Dad sagte, er würde öfter zu Hause sein, und ich wollte unserer Ehe eine neue Chance geben.«
    Doch obwohl Dad ihr verzieh, dass sie weggelaufen war, und seinen Job auf dem Fischkutter aufgab, wurde es mit ihrer Ehe nicht besser. Wenn überhaupt, wurde es höchstens noch schlimmer. Ich kann nicht zählen, wie oft wir neue Teller kaufen mussten, weil sie damit nach einander geworfen hatten. Am Ende verbrachte Dad seine ganze Zeit auf der Jagd oder im Pub, bis Robbie kam, um ihn einzusammeln. Mom beschäftigte sich nur noch mit den Pferden.
    Mom zog die Handschuhe wieder an, nahm eine weitere Ladung Heu aus der Schubkarre und verteilte es auf dem Boden. »Danach ist die Kommune verschwunden – sie sind runter nach Victoria gezogen.« Sie hielt meinem Blick stand. »Such keinen Ärger, Nadine. Du würdest dir nur selbst schaden.« Behutsam berührte sie meine Wange. Der Handschuh fühlte sich rau auf meiner Haut an. »Ich mag eine Menge Fehler machen, aber in diesem Punkt bin ich mir sicher.« Sie packte die Griffe der Schubkarre und stapfte in Richtung Scheune.
    Nur wenige Wochen später starb sie bei dem Autounfall.

    Bei Robbie hatte ich auch nicht mehr Glück. Damals lebte er mit zwei Typen zusammen in einem Haus, das sie im Dorf angemietet hatten. Sie arbeiteten als Straßenbauer für dasselbe Holzfällerunternehmen. Ich erwischte ihn eines Tages allein, als er das Öl bei seinem Truck wechselte.
    Er machte eine Pause, zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Was ist los?«
    »Ich war gerade draußen auf der Ranch und habe mit Mom geredet.«
    »Ja und? Worüber?« Er nahm seine Baseballmütze ab, fuhr mit der Hand durch das verschwitzte Haar und setzte sie wieder auf. Schwarze Haarbüschel lugten an den Ohren darunter hervor. Er war jetzt achtundzwanzig und sah immer noch gut aus, auf so eine grimmige Komm-mir-bloß-nicht-blöd-Art. Dabei fühlte er sich in seinem Körper sichtlich unbehaglich und konnte nie stillsitzen, vor allem nicht in Gegenwart anderer Menschen. Als könnte er es nicht abwarten, zu entkommen. Er schien nie mit jemandem auszugehen und keine Freundin zu haben – oder keine, von der ich etwas wusste.
    Seit ich nach der Highschool nach Victoria gezogen war, sahen wir uns nur noch selten. Wir trafen uns bei Familienessen und an Feiertagen, wo ich deprimiert herumsaß, die Bierdosen meines Vaters und meines Bruders auf dem Tisch anstarrte und zusah, wie sie mit versteinerten Gesichtern ihre matschigen Kartoffeln mit Bratensoße in sich hineinschaufelten. Mom, die ihren Wein mit den Tabletten mixte, die sie gerade schluckte, stocherte nur in ihrem Essen herum. Wenn Mom und Dad zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Streit geraten waren, verschwand sie nach dem Essen im Stall, und Robbie ging nach draußen, um eine zu rauchen. Ich folgte ihm dann meist und unterhielt mich mit ihm über Belanglosigkeiten. Verzweifelt plapperte ich los und erzählte ihm von meinem Leben, versuchte irgendein Thema zu finden, das ihn interessieren könnte. Hin und wieder brachte ich ihn zum Lachen, woraus ich irrigerweise schloss, wir zögen wieder an einem Strang. Dann sagte ich etwas in die Richtung, dass ich mir Sorgen um Mom und Dad machte, der Probleme hatte, es längere Zeit in einem Job auszuhalten, seit er nicht mehr auf dem Fischkutter arbeitete. Regelmäßig stieß Robbie an diesem Punkt ärgerlich den Rauch aus und sagte: »Es geht ihnen gut. Kümmer dich lieber um dein eigenes Leben.«
    Dieses Mal sagte ich: »Ich habe sie nach der Kommune gefragt.«
    Er zog noch einmal an der Zigarette, ehe er sagte: »Sie redet nicht gerne darüber.«
    Ich wusste nicht, dass er versucht hatte, mit Mom über die Kommune zu reden, und fragte mich, worüber sie gesprochen hatten, wenn

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