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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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Stimme zitterte, wurde kleinmädchenhaft und zweifelnd. »Ich habe niemanden. Keine Familie, niemanden. Ich weiß nicht, wo sie alle hin sind. Was ist mit meinen ganzen Bildern passiert? Wo ist mein schönes Haus? Ich will einfach nur nach Hause.« Sie weinte heftiger. »Ich kann mich an nichts erinnern.«

9. Kapitel
    Als ich Anfang zwanzig war und in Victoria studierte, schlug mein Therapeut vor, mit meiner Mom und meinem Bruder über meine Erlebnisse in der Kommune zu sprechen. Vielleicht könnten sie das Fenster zu meinen Erinnerungen öffnen, doch wenn ich überhaupt irgendetwas erreichte, dann, dass sie die Tür erst recht zuschlugen.
    Meine Mutter sprach nach unserem Weggang nur ungern über die Kommune, vor allem, wenn mein Vater dabei war, aber ich erwischte sie eines Morgens im Herbst allein auf der Weide, als sie Heu für die Pferde verteilte. Die Sonne war bereits aufgegangen, erwärmte den nächtlichen Tau und ließ den Boden dampfen. Mom trug eine von Dads unförmigen Arbeitsjacken, ihr dunkles Haar hatte sie unter einen alten Cowboyhut gestopft. Selbst in dieser Männerkleidung war sie schön.
    Ich schnappte mir eine Heugabel und begann, ihr zu helfen. Nach einer Weile sagte ich: »Mom, ich muss mit dir über die Kommune reden.«
    Sie arbeitete weiter. »Ich will nicht über die Vergangenheit reden.«
    »Ich weiß, aber es ist wichtig. Ich mache eine Therapie, gegen meine Klaustrophobie, und mein Therapeut glaubt, dass in der Kommune irgendetwas mit mir passiert ist.«
    Meine Mutter hielt inne und sah mich an. »Was zum Beispiel?«
    Sie war kleiner als ich, aber sie richtete sich auf, straffte die Schultern und stützte die Hände in den Arbeitshandschuhen in die Hüften. Angesichts ihrer Pose verspürte ich einen Hauch von Erregung.
    »Irgendetwas Traumatisches, das der Auslöser für meine Angst vor Dunkelheit und engen Räumen gewesen sein könnte. War ich zum Beispiel einmal unter irgendwas eingeklemmt?«
    »Du hast die Dunkelheit noch nie gemocht.« Sie nahm die Hände von den Hüften.
    Meine Erregung verschwand, als ich den neuen Unterton in ihrer Stimme wahrnahm: Willst du mich jetzt deswegen nerven?
    »Es ist mehr als das. Ich habe Panikattacken, und wenn ich an die Zeit in der Kommune denke, fühle ich mich manchmal unbehaglich.«
    »Wieso?« Irritiert zog sie die Brauen zusammen.
    »Ich glaube, ich hatte Angst vor Aaron. Ich war nicht gern mit ihm zusammen.«
    »Warum um alles auf der Welt solltest du Angst vor ihm gehabt haben? Er war so lieb zu dir. Als er mit einigen von uns zum Picknick oben am See gefahren ist, weil wir so fleißig gewesen waren, durftest du sogar im Truck vorne bei ihm sitzen.«
    Ich versuchte, mich an irgendein Picknick zu erinnern, aber mir fiel partout nichts ein. Ich schüttelte den Kopf. »Daran kann ich mich nicht erinnern.« Aber ich erinnerte mich, wie benebelt meine Mutter damals gewesen war. »Bist du sicher, dass ich das war?«
    »Natürlich warst du das. Du mochtest Aaron. Nach Coyotes Tod war Aaron stundenlang mit dir am Fluss, um dir das Schwimmen beizubringen.«
    Ich dachte zurück. »Daran kann ich mich auch nicht erinnern.«
    Meine Mom sah aus, als könne sie nicht verstehen, warum ich so begriffsstutzig war. »Wir haben dich nicht mehr zurück an den Fluss gekriegt, bis er dir geholfen hat.«
    »Ich mochte ihn nicht. Er hat mir Angst gemacht.«
    Jetzt wirkte sie überrascht. »Nur seinetwegen kannst du schwimmen.«
    Es war mir peinlich, dass ich mich an keine einzige Schwimmstunde erinnern konnte und dass ich meine unangenehmen Gefühle Aaron gegenüber ausgesprochen hatte – Gefühle, die sie offenkundig nicht teilte.
    »Erinnerst du dich an ein junges Mädchen namens Willow?«
    Sie schwieg einen Moment, dachte nach, dann nickte sie. »Was ist mit ihr?«
    »Sie war einfach nur nett zu mir. Diese Kommune, manche der Leute da … für ein Kind war das furchteinflößend. Aber sie mochte ich.«
    »Aaron konnte es mit diesem ganzen New-Age-Zeug ziemlich übertreiben, aber im Grunde waren das alles nur harmlose Hippies.«
    Es war das erste Mal überhaupt, dass meine Mom eine Meinung über die Glaubensvorstellungen der Kommune äußerte, und ihr Tonfall weckte Zweifel in mir, ob sie diese tatsächlich so geteilt hatte, wie ich gedacht hatte. »Schon möglich, aber ich wollte nur nach Hause.«
    Im ersten Moment machte sie ein erschrockenes Gesicht, dann sagte sie, fast als wollte sie sich verteidigen: »Du hattest es dort wesentlich besser als zu

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