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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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von mir ein Vogel schnatternd hochflog.
    Unwillkürlich riss ich die Augen auf und starrte in den dunklen Wald. Das Blut rauschte in meinen Ohren, ich stand stocksteif da und fragte mich, was den Vogel aufgeschreckt hatte. Langsam wich ich zurück, ohne den Blick von der Stelle abzuwenden, während ich hektisch das dichte Unterholz nach einem Tier absuchte. Hinter einem großen Baumstumpf, gerade außerhalb des Lichts, sah ich einen Schatten, groß wie ein Mann. War dort jemand? Ich rief laut: »Hallo?« Niemand antwortete. Ich starrte auf den Schatten, überzeugt, den Blick von jemandem auf mir zu spüren. Ich wirbelte herum und rannte so schnell ich konnte zurück zum Wagen, hielt kaum inne, um Luft zu holen, bis ich im Auto saß und die Türen verriegelt hatte. Ich blieb sitzen, bis sich meine Nerven wieder beruhigt hatten, und sagte mir, ich sei albern – niemand hatte mich beobachtet. Doch als ich noch einmal zum Pfad schaute, empfand ich ein überwältigendes Verlangen, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.
    Ich startete den Motor und setzte so hastig zurück, dass die Reifen die Haftung im losen Schotter verloren und ich fast über den Rand der Böschung hinausschoss. Ich wendete den Wagen in Fahrtrichtung und raste davon. Erst, als ich die Abzweigung nach Victoria erreichte, wurde ich langsamer. Endlich hatte ich den Ort gefunden, an dem meine Klaustrophobie ihren Ursprung hatte – doch den Grund kannte ich immer noch nicht. Ich redete mir zu, dass es lediglich Kindheitserinnerungen waren, die ich unverhältnismäßig aufgebläht hatte. Wahrscheinlich war ich vom Heuhaufen gefallen oder mit einem Pferd in einer der Boxen eingesperrt gewesen. Mehr nicht. Trotzdem hörte ich weiterhin die Stimme in meinem Kopf.
    Etwas Schlimmes ist in diesem Stall geschehen.

19. Kapitel
    Der nächste Tag war ein Samstag, und ich versuchte immer noch, die Ereignisse des letzten Nachmittags zu verdauen. Den Morgen verbrachte ich damit, ein paar Umzugskartons durchzusehen, die immer noch ungeöffnet herumstanden. Ich packte sie aus, sortierte alles neu und verstaute die Kartons im Keller, wobei ich wünschte, mit den Erinnerungen wäre es genauso einfach. Als ich einen Karton aus Pauls Büro öffnete, rührte ich noch ein paar mehr auf. Ich stöberte in seinem Schreibset und den Medizinbüchern, betrachtete das Modellflugzeug, das er eines Tages hatte fliegen lassen wollen. Mir fiel ein, dass ich immer noch seine Werkzeuge hatte. Damals hatte Garret sich nicht dafür interessiert, aber ich hatte sie aufgehoben, falls er sie gern hätte, wenn er älter war. Mittlerweile war er zweiunddreißig, und als wir das letzte Mal miteinander sprachen, war ich gerade frisch nach Victoria gezogen. Damals hatte er erwähnt, dass er ebenfalls auf Haussuche sei, und ich dachte daran, dass wir auch davon gesprochen hatten, gleich im neuen Jahr gemeinsam zu Mittag zu essen.
    Nach Pauls Tod sprachen wir uns zu den Feiertagen, doch als Lisa auszog, wurden die Anrufe seltener. Eine Weile schickte ich ihm Weihnachtskarten, doch irgendwann kamen sie zurück, ein hingekritzeltes Zurück an den Absender auf der Vorderseite. Seine Mutter war ein Albtraum – launisch, theatralisch, passiv-aggressiv und kontrollierend. Paul und ich hatten versucht, Garret so oft wie möglich zu uns zu holen, und Paul achtete immer darauf, auch weiterhin am Leben seines Sohnes teilzuhaben. Ich versuchte meinerseits, eine Bindung zu ihm aufzubauen, eingedenk meiner Sehnsucht nach einer eigenen Familie. Doch Garret war ein temperamentvolles Kind, und die Umstellung fiel ihm nicht leicht. Er war furchtbar eifersüchtig auf Lisa gewesen, und bei sieben Jahren Altersunterschied gab es natürlich auch nicht viele Gemeinsamkeiten. Erst als Garret etwa achtzehn war, entwickelte sich zwischen ihnen so etwas wie eine Freundschaft, und sie standen sich eine Weile sehr nahe. Darum fand ich es so schade, dass sie sich nach dem Tod ihres Vaters auch von ihm zurückgezogen hatte. Nachdem sie zurück nach Victoria gegangen war, hatte Garret ein paarmal versucht, sie zu finden, aber sie hatte uns beide aus ihrem Leben getilgt. Garret vermisste ich ebenfalls. Dann schließlich, als er Ende zwanzig war, fing er an, mich hin und wieder anzurufen, um eine Weile zu plaudern, und wir trafen uns zum Lunch oder zum Kaffee, wenn ich in Victoria war, und sprachen über seinen Dad und Lisa.
    Als ich so viel ich konnte im Haus getan hatte, ging ich nach draußen, um mein Fahrrad zu holen.

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