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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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fehlten die oberen Schnürsenkel. Sie hatte das Gesicht abgewandt und sah einer Robbe zu, die im Wasser vor ihr herumtollte, so dass ich ihre Gesichtszüge nicht sehen konnte. Dann schaute die Frau mich an.
    Ich starrte in das Gesicht meiner Tochter.
    Auch sie erkannte mich auf der Stelle. Ich kämpfte den Impuls nieder, mich auf sie zu stürzen und sie in die Arme zu nehmen, da ich wusste, dass sich mich fortstoßen würde. Wir schwiegen einen Moment, maßen einander mit Blicken und erholten uns von der Überraschung. Erfreut stellte ich fest, dass ihre Haut rein und ohne Geschwüre war – und ungeschminkt, aber das hatte sie noch nie nötig gehabt. Ich fand es furchtbar, als sie ihre Augen und Lippen schwarz anmalte, und hatte nie begriffen, warum sie ihre Schönheit versteckte. Ihre Augen, von demselben Blau wie meine, waren von schwarzen Wimpern umrahmt, doch ihre Gesichtsform war eher eckig, wie bei ihrem Vater. Ihr dunkles Haar war wieder ausgewachsen und lag dicht und wild um ihr Gesicht, fiel bis weit über ihre Schultern und endete in hellen kastanienbraunen Spitzen. Egal ob von der Sonne oder aus der Flasche, es stand ihr.
    Ich lächelte. »Lisa, ich freue mich, dich zu sehen.« Es versetzte mir einen Stich, dass ich mit meiner Tochter reden musste wie mit einer Fremden, ganz zu schweigen von der bitteren Ironie, dass ich die Straßen nach ihr abgesucht, aber niemals daran gedacht hatte, an ihren Lieblingsplätzen nachzusehen.
    »Hallo.« Sie wandte sich wieder der Robbe zu, griff in den Eimer neben sich und warf ihr einen Fisch zu.
    Ich stand verlegen herum. Sie hatte nicht gesagt, ich solle verschwinden, aber sie hatte mich auch nicht eingeladen, mich zu setzen. Jetzt, wo sie sich endlich in greifbarer Nähe befand, etwas, wonach ich mich seit Monaten sehnte, wurde ich unsicher. Ich näherte mich vorsichtig, bis ich neben ihr stand, wenn auch immer noch mit einigem Abstand. Ich fürchtete, ich könnte irgendetwas sagen, das sie in die Flucht schlagen würde. An ihrem Hals zuckte eine Ader, obwohl ihr Gesicht ruhig war. War dieses Zucken ein Zeichen ihres inneren Aufruhrs? Mein Kopf war erfüllt von besorgten Fragen. Wo wohnst du? Hast du genug zu essen? Nimmst du immer noch Drogen?
    Sie drehte sich ein wenig und sah mich an.
    Ich gab vor, die Robbe zu beobachten, und lächelte über ihre Mätzchen.
    »Wusstest du, dass sie bis zu fünfunddreißig Jahre alt werden können?«, sagte Lisa.
    Ich wusste es, trotzdem sagte ich: »Wirklich? Ob das wohl dieselbe ist, die wir früher gefüttert haben?«
    Sie zuckte die Achseln. »Sie wird sich kaum an uns erinnern.«
    Ich wartete einen Moment, hoffte, dass sie das weiter ausführen würde, doch ihre Aufmerksamkeit war ganz auf die Robbe gerichtet. Ich sagte: »Ich wusste nicht, dass du immer noch hierherkommst.«
    Mit einer hochgezogenen Braue sah sie mich an. Die Botschaft war klar. Du weißt gar nichts über mein Leben.
    »Ich sollte sie öfter besuchen. Ich wohne jetzt in Victoria …« Ich warf den Haken aus.
    Sie sah mich erneut an. Als der Wind vom Meer auffrischte, zog sie den Parka enger um sich, die Haarspitzen flatterten, ihre Wangen waren rosig. Es schmerzte mich, wie wunderschön sie war, in jedem Detail ihres Körpers erkannte ich Pauls und meine Liebe wieder. Ihre großen Hände: von ihm. Ihr Teint: von mir. Ihre Beine, die meilenweit gegangen waren: von ihm. Ihre Liebe für die Erde und die Tiere: von uns. Ihr Schmerz: von mir.
    Ich sagte: »Du siehst gut aus.«
    Es war als Kompliment gemeint, doch sie hörte nur meine Erleichterung heraus.
    »Du meinst, ich sehe nicht aus wie ein Junkie.«
    »Das habe ich nicht gemeint.« Doch das hatte ich.
    Sie schnaubte und wandte sich wieder der Robbe zu. »Warum bist du hierhergezogen?«
    »Ich habe einen Job im Krankenhaus angenommen. Und ich wollte in deiner Nähe sein.« Sie sagte nichts, doch ihre Wangen röteten sich. Vor Freude oder Ärger? Ich fügte hinzu: »Du hast bald Geburtstag. Hast du Lust, abends essen zu gehen? Wo immer du willst. Oder du kannst vorbeikommen und dir mein neues Haus anschauen.« Ich zeigte in Richtung Fairfield. »Ich habe einen Gartenschuppen hinterm Haus. Ich versuche, Bonsai-Bäume zu ziehen, aber es läuft ziemlich beschissen.« Hatte ich gerade tatsächlich beschissen gesagt? Was versuchte ich zu beweisen? Dass ich cool war? Dass sie mich lieben sollte? Trotzdem konnte ich nicht anders, ich musste einfach noch hinzufügen: »Da ist noch ein leeres Zimmer für dich, falls

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