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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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Hauses zu.
    Sie hatte mir nicht gesagt, ich solle verschwinden, also folgte ich ihr. Links entdeckte ich einen Stall mit einem Gehege, in dem zwei Pferde geräuschvoll Heu mampften. Ihre schweren Leiber schwankten hin und her, der Atem bildete kleine Dampfwolken in der Luft. Der Pferdegeruch stieg mir in die Nase, und ich fühlte mich unvermittelt zu ihnen hingezogen. Am liebsten hätte ich mit der Hand durch ihre dicken Mähnen gestrichen, die moschusartige Wärme ihrer Hälse eingeatmet. Doch dann nahm ich einen weiteren vertrauten Geruch aus dem Stall wahr, nach altem Dung, fauligem Futter und feuchter Erde. Mir wurde übel davon, aber ich begriff nicht, warum. Immer noch erstaunt über diese körperliche Reaktion, eilte ich Mary nach. »Haben Sie früher ebenfalls in der Kommune gelebt?«
    Erneut sah sie mich an, ohne langsamer zu werden, dann schaute sie zum Himmel und sagte: »Er sieht immer zu.« Ihre Worte warfen mich aus der Bahn. Der unheimliche Klang, die Art und Weise, wie sie beim Hochschauen den Kopf neigte, kam mir vertraut vor. Mitten in der Bewegung blieb ich wie angewurzelt stehen. Erinnerungen schoben sich über ihr Gesicht – und ich erkannte sie.
    »Cedar, dein Name ist Cedar.« Sie war eine ergebene Anhängerin gewesen, hatte immer am Lagerfeuer gesungen und mit Aaron meditiert. Und noch etwas schien sich im hintersten Winkel meines Unterbewusstseins festzuklammern, drehte mir den Magen um und ließ mein Herz warnend hämmern.
    Böse, etwas Böses.
    Sie blieb stehen, drehte sich um und machte einen Schritt auf mich zu. Ich wich zurück, erwischte einen Stein mit dem Absatz und geriet ins Stolpern.
    Zornig sah sie mich an. » Damals war ich Cedar. Mein Name ist Mary.«
    Sie drehte sich erneut um und ging weiter zum Hühnergehege, wo sie vor der Tür einen Korb ergriff. Ich folgte ihr zögernd, würgte bei dem intensiven Geruch von Hühnerdung und Federstaub, während sie die Eier unter den brütenden Hennen hervorzog und mir dabei den Rücken zuwandte.
    Über das schrille Gackern hinweg sagte sie: »Ich war jung und dumm. Wir glaubten tatsächlich, wir würden die Welt verändern.« Sie lachte. »Gar nichts haben wir verändert. Wir waren nur high und haben wie die Verrückten gevögelt.« Sie lachte erneut, auf eine heisere, amüsierte Art, so dass ich mich ein wenig entspannte. Die Schroffheit dieser Frau gefiel mir, sie wirkte aufrichtig und glaubwürdig auf mich. Was sie zu sagen hatte, würde mich vielleicht verletzen, aber sie würde die Dinge beim Namen nennen. Ich sollte recht behalten, denn kurz darauf drehte sie sich zu mir um und sagte: »Deine Mutter war wunderschön – du siehst genauso aus wie sie.«
    Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. »Du erinnerst dich an meine Mutter?«
    »Kate. Eine nette Frau, aber ein wenig …« Sie tippte sich an den Kopf. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, meine Mutter zu verteidigen, und dem Wissen, dass sie recht hatte. Ich beschloss, den Mund zu halten, aber mein Blick musste mich verraten haben, denn Mary sagte: »Versteh mich nicht falsch. Ich mochte sie. Aber es muss hart gewesen sein, mit einer Mutter aufzuwachsen, die die meiste Zeit völlig abgedreht war.« Sie taxierte mich erneut und sah mir direkt in die Augen, als versuchte sie, in mein Leben zu blicken und herauszufinden, was aus mir geworden ist. »Die Kommune war kein guter Ort für Kinder.«
    Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopfe. »Genau darüber hatte ich gehofft, mit dir sprechen zu können. Hast du noch etwas von Aaron oder Joseph gehört, nachdem sie gegangen sind?« Ich formulierte meine Frage mit Bedacht, für den Fall, dass sie noch mit irgendjemandem in Verbindung stand.
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Die Zeiten sind vorbei.«
    »Du weißt also nichts über das Zentrum in Victoria?«
    Ein weiteres rasches Kopfschütteln.
    Ich erzählte ihr alles, was ich über die Kommune wusste, während sie weiter Eier einsammelte. Schließlich sagte ich: »Ich bin mir nicht sicher, wo Joseph heute ist oder ob er überhaupt noch lebt, aber ich glaube, dass Aaron junge Mädchen sexuell missbraucht.«
    Stirnrunzelnd drehte sie sich um. »Wie kommst du darauf?«
    »Es gab ein paar Fälle, die nicht weiter verfolgt wurden, aber ich habe guten Grund anzunehmen, dass die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen.« Sie fragte nicht weiter nach, sondern widmete sich wieder ihrer Aufgabe, also hakte ich nach: »Erinnerst du dich daran, dass Aaron jungen Mädchen

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