Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen (German Edition)
ich aufgelegt hatte.
»Nichts«, antwortete ich. »Die Agentur weiß immer noch nicht viel, aber sie arbeiten daran. Vielleicht dauert es noch ein Weilchen. Vielleicht …«
Ich verstummte. Draußen wurde der Sturm immer heftiger. Ich konnte nur etwa hundert Meter weit in die niedrigen weißen Wälder schauen, die sich um uns herum ausbreiteten. Ich legte den Gang ein, schaute sorgfältig in den Rückspiegel und fuhr wieder auf die Straße.
Schlagartig hatte sich meine Sicht auf mich selbst total verändert. Nach diesem Telefongespräch war ich natürlich immer noch alles, was ich zuvor gewesen war: immer noch Wissenschaftler, immer noch Arzt, immer noch Vater, immer noch Ehemann. Aber ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben nun auch wie ein Waisenkind. Wie jemand, der weggegeben worden war. Wie jemand, der nicht vollkommen, nicht zu 100 Prozent erwünscht war.
Vor diesem Telefongespräch hatte ich mich niemals wirklich so gesehen: als jemanden, der von seinem Ursprung abgeschnitten ist. Ich hatte mich nie in Zusammenhang mit etwas definiert, das ich verloren hatte und niemals zurückgewinnen konnte. Aber plötzlich war dies das Einzige, was ich an mir sehen konnte.
In den folgenden Monaten tat sich ein Ozean der Traurigkeit in mir auf – eine Traurigkeit, die alles, für dessen Erschaffung ich bis zu diesem Punkt so hart gearbeitet hatte, zu überfluten und zu versenken drohte.
Verschlimmert wurde dies durch meine Unfähigkeit, der Ursache für diese Situation wirklich auf den Grund zu gehen. Ich hatte auch früher schon innere Probleme gehabt – Schwächen, wie ich meinte – und sie in den Griff bekommen. An der Medizinischen Hochschule und in meiner Anfangszeit als Chirurg beispielsweise war ich Teil einer Kultur gewesen, in der Saufgelage – im richtigen Rahmen – mit einem Lächeln akzeptiert wurden. Aber 1991 war mir aufgefallen, dass ich meinen freien Tag und die Drinks, die damit einhergingen, ein bisschen zu heiß herbeisehnte. Da beschloss ich, dass es höchste Zeit war, ganz mit dem Trinken von Alkohol aufzuhören. Dies war beim besten Willen nicht einfach – ich hatte mich schon mehr an diese Art von Entspannung gewöhnt, als mir überhaupt klar war –, und ich schaffte es nur mit der Unterstützung meiner Familie durch diese ersten Tage der Abstinenz. Und jetzt hatte ich ein weiteres Problem, an dem ich ganz allein schuld war. Ich konnte Hilfe haben, um damit klarzukommen, wenn ich mich entschied, darum zu bitten. Warum konnte ich es nicht im Keim ersticken? Es kam mir merkwürdig vor, dass ein Stück Wissen über meine Vergangenheit – ein Stück, über das ich keine wie auch immer geartete Kontrolle hatte – in der Lage sein sollte, mich sowohl emotional als auch beruflich so vollkommen aus der Bahn zu werfen.
Also kämpfte ich. Und ich sah ungläubig zu, wie es mir immer schwerer fiel, meinen Rollen als Arzt, als Vater und als Ehemann gerecht zu werden. Als Holley merkte, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, meldete sie uns zu einem Kurs in Paartherapie an. Obwohl sie nur teilweise verstand, was die Ursache dafür war, verzieh sie mir, dass ich in dieses tiefe Loch der Verzweiflung fiel, und tat alles, was sie konnte, um mich wieder herauszuziehen. Meine Depression hatte Auswirkungen auf meine Arbeit. Meine Eltern bekamen diese Veränderung natürlich auch mit, und obwohl ich wusste, dass auch sie mir vergaben, brachte es mich fast um, dass meine Karriere in der Neurochirurgie am Kippen war, und sie konnten nichts tun, als es wie unbeteiligte Außenstehende zu beobachten. Ohne meine Mitwirkung konnte meine Familie mir nicht helfen.
Und schließlich beobachtete ich, dass, während diese neue Traurigkeit zutage trat, etwas anderes weggeschwemmt wurde, nämlich meine letzte, halb eingestandene Hoffnung, dass es irgendein persönliches Element im Universum gibt – eine Kraft, die über die wissenschaftliche hinausging, der ich Jahre des Studiums gewidmet hatte. In weniger nüchternen Worten: Es fegte meinen letzten Glauben daran hinweg, dass es ein irgendwie geartetes Wesen dort draußen geben könnte, das mich wirklich liebte und sich um mich kümmerte, und dass meine Gebete vielleicht erhört und sogar beantwortet werden könnten. Nach diesem Telefonat im Schneesturm war meine Vorstellung von einem liebenden, persönlichen Gott – bis zu einem gewissen Grad mein Ge burtsrecht als ein zur Kirche gehendes Mitglied einer Kultur, für die Gott eine wirkliche Bedeutung hat –
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