Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen (German Edition)
Hochschule dachte ich nicht über meine Adoption nach – zumindest nicht bewusst. Ich wandte mich allerdings mehr mals an die Children’s Home Society von North Carolina und fragte nach, ob meine Mutter vielleicht irgendein Interesse daran habe, sich mit mir zu treffen. In North Carolina gab es jedoch die bundesweit strengsten Gesetze zum Schutz der Anonymität von Adoptivkindern und ihren leiblichen Eltern. Sie galten auch, wenn eine der Parteien unbedingt wieder mit der anderen zusammenkommen wollte. Nachdem ich dreißig geworden war, dachte ich zunehmend seltener über dieses Thema nach. Und als ich Holley kennengelernt hatte und wir unsere eigene Familie gründeten, trat diese Frage noch weiter in den Hintergrund oder verschwand noch tiefer in mein Inneres.
1999 lebten wir noch in Massachusetts. Eben IV. war damals zwölf Jahre alt und nahm an der Charles-River-Schule, wo er die sechste Klasse besuchte, an einem Kurs zum Thema familiäres Erbe teil. Er wusste, dass ich adoptiert worden war und er demnach Blutsverwandte auf diesem Planeten hatte, die er nicht persönlich und noch nicht einmal dem Namen nach kannte. Das Projekt weckte in ihm eine tiefe Neugierde.
Er fragte mich, ob wir nicht meine leiblichen Eltern ausfindig machen könnten. Ich erklärte, ich sei im Laufe der Jahre gelegentlich selbst in dieser Sache tätig geworden, hätte die Children’s Home Society von North Carolina kontaktiert und gefragt, ob es irgendwelche Nachrichten für mich gebe. Wenn meine biologische Mutter oder mein biologischer Vater Kontakt zu mir hätten aufnehmen wollen, wäre die Gesellschaft darüber informiert gewesen. Aber ich hatte nie eine entsprechende Antwort bekommen.
Nicht dass mir das etwas ausgemacht hätte. »Das ist ganz natürlich unter solchen Umständen«, sagte ich Eben. »Es bedeutet nicht, dass meine leibliche Mutter mich nicht liebt oder dass sie dich nicht lieben würde, wenn sie dich jemals zu Gesicht bekäme. Aber sie will das nicht, vermutlich weil sie spürt, dass du und ich unsere eigene Familie haben, und sie sich da nicht einmischen will.«
Doch Eben ließ nicht locker. Also dachte ich schließlich, ich könne ihn ein wenig bei Laune halten, indem ich einer Sozialarbeiterin der Children’s Home Society einen Brief schrieb. Ihr Name war Betty, und sie war mir schon früher bei meinen Anfragen behilflich gewesen. Ein paar Wochen später, an einem verschneiten Freitagnachmittag im Februar 2000, fuhren Eben IV. und ich für ein Skiwochenende von Boston nach Maine. Da fiel mir plötzlich ein, dass ich Betty hatte anrufen wollen, um zu erfah ren, ob sie irgendetwas erwirkt hatte. Ich erreichte sie über Handy.
»Nun«, sagte sie, »ich habe tatsächlich ein paar Nachrichten für Sie. Sitzen Sie gut?«
Ich saß in der Tat, also sagte ich das auch, verzichtete jedoch darauf zu erwähnen, dass ich gerade mit dem Auto durch einen Schneesturm fuhr.
»Wie sich herausgestellt hat, Dr. Alexander, haben Ihre leiblichen Eltern doch noch geheiratet.«
Mein Herz hämmerte in meiner Brust, und die Straße vor mir war plötzlich unwirklich und ganz weit weg. Obwohl ich wusste, dass sich meine Eltern geliebt hatten, war ich immer davon ausgegangen, dass sie getrennte Wege gegangen waren, nachdem sie mich weggegeben hatten. Augenblicklich tauchte ein Bild in meinem Kopf auf. Ein Bild von meinen leiblichen Eltern und von dem Zuhause, das sie sich irgendwo geschaffen hatten. Ein Zuhause, das ich nie gekannt hatte. Ein Zuhause, das nicht meines war.
Betty unterbrach meine Gedanken. »Dr. Alexander?«
»Ja«, sagte ich langsam. »Ich bin noch dran.«
»Da ist noch etwas.«
Zu Ebens Verwirrung fuhr ich das Auto an den Straßenrand und sagte ihr, sie solle weitersprechen.
»Ihre Eltern hatten noch drei weitere Kinder, zwei Schwestern und einen Bruder. Ich war in Kontakt mit der älteren Schwester, und sie hat mir erzählt, dass Ihre jüngere Schwester vor zwei Jahren gestorben ist. Ihre Eltern betrauern diesen Verlust noch immer.«
»Das heißt also …?«, fragte ich nach einer langen Pause. Ich war immer noch wie betäubt und nahm alles in mich auf, ohne irgendetwas davon wirklich verarbeiten zu können.
»Es tut mir leid, Dr. Alexander, aber ja – es bedeutet, dass Ihre Bitte um Kontaktaufnahme abgelehnt ist.«
Eben veränderte seine Position auf dem Sitz hinter mir. Er wusste, dass hier gerade etwas Bedeutendes passiert war, aber nicht, worum es sich handelte.
»Was ist los, Papa?«, fragte er, nachdem
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