Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
typisches Shanghaier Weichei-Benehmen war das.
Auf den Straßen sah ich erstaunlich wenige Leute, zumindest im Vergleich zur Hauptstadt. Wahrscheinlich waren alle gerade in den Supermärkten, um die Milchpreise zu notieren. Als ich in einem wirklich gerammelt vollen Laden ein Hundert-Gramm-Schälchen Erdbeeren bezahlte, war dies nicht nur beinahe europäisch teuer, ich bekam als Wechselgeld auch einen Haufen Münzen. In Peking bezahlen wir nur mit Scheinen, und selbst im Supermarkt werden die Fen-Beträge auf- oder abgerundet. Geldgierig, kleinkariert und geizig stimmte also auch. Und die Frauen? Sie sahen tatsächlich besser aus als die Pekingerinnen, die eher etwas, ähem, kräftiger gebaut sind. Doch kam, wie prophezeit, keine auf mich zu und bot mir so was wie Sex an («Do you speak English?»), sieht man von etlichen Mädchen ab, die um das Shanghai-Museum und auf der Nanjing Lu flanierten. Das aber konnten keine Shanghaierinnen sein, denn dafür waren sie nicht hochmütig genug.
Nach zwei Tagen in der zudem noch viel zu sauberen und aufgeräumten Hafenstadt waren schließlich alle Vorurteile, die ich aus Peking mitgebracht hatte, bestätigt. Nur, ob die Shanghaier wirklich Rassisten sind, konnte ich nicht herausbekommen. Ihre Abneigung sollte sich ja – jetzt mal von Pekingern abgesehen – eher gegen dunkelhäutigere Menschen richten. Doch dann fiel mir nebenstehender Stadtplan in die Hände, herausgegeben von der offiziellen Shanghaier Tourismusbehörde.
Auf dem Umschlag ist ein Trio nahöstlicher Provenienz abgebildet, das offensichtlich gerade im Begriff steht, die Glitzermetropole mittels einer detaillierten Karte auszukundschaften. Während sich aber der linke und der mittlere Herr noch nicht schlüssig zu sein scheinen, welches Gebäude denn für die nächste Tour in Frage kommt, ist dem Herrn ganz rechts beim Blick über den Huangpu-Fluss bereits eine Idee gekommen: Da steht nämlich der Oriental Pearl Tower, mit vierhundertachtundsechzig Metern der dritthöchste Fernsehturm der Welt. Gleich dahinter erheben sich dann inmitten vieler anderer prächtiger Bürotürme der Mega-Flaschenöffner und der Jin-Mao-Wolkenkratzer, auch dieser hundertzweiundsechzig Meter höher als das höchste deutsche Hochhaus.
Mein liebster Stadtplan: Wo stehen hier die Hochhäuser?
Das sind nun bekanntlich alles Ziele, die Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten wie magisch anziehen, weil sie sie leidenschaftlich gerne umdekorieren, vorzugsweise im Stil der afghanischen Postpostmoderne.
Dieser Stadtplan zwingt mich nun, hier in aller Form zu widerrufen, denn wer drei mutmaßlichen Culture-Clash-Designern so zuvorkommend hilft, sich in der eigenen Stadt zu orientieren, der kann wirklich kein Rassist sein. Entschuldigung also, Shanghaierinnen und Shanghaier. Ich habe euch im letzten Kapitel bitter Unrecht getan. Ihr dürft euch mit genau einer Beleidigung meiner Person revanchieren: Wie wäre es beispielsweise mit «hervorragender Bewohner unserer glänzenden Hauptstadt» oder einfach «Pekingmensch»?
16 Die chinesischen Weihnachtsdiebe
Jedes Jahr zu Weihnachten ist es dasselbe. Ich bekomme einen Haufen E-Mails, in denen ich beneidet und beglückwünscht werde: «Du hast es gut! Du bist in China und kriegst von dem ganzen Weihnachtsrummel nichts mit.» In anderen Mails werde ich bedauert – aus demselben Grund. Und ganz schlaue Leute schreiben irgendwas von einem vollkommen anderen kulturellen Umfeld, in dem ich mich bewege, weshalb es ja bei mir gerade zur Weihnachtszeit kulturell ganz anders sei. Ich kann dazu nur sagen: Ihr habt alle keine Ahnung.
Es ist nämlich so: Die Chinesen haben uns Weihnachten längst geklaut. Und nicht nur das, sie haben es auch noch systematisch ausgebaut. So hat inzwischen in der chinesisch bewohnten Welt der ganze Weihnachtszinnober entschieden größere Dimensionen als im müden, alten Europa. Dabei ist es nicht so, dass die Chinesen keine eigenen Feiertage hätten. Mindestens eine Woche lang feiert man das chinesische neue Jahr, es gibt Qing Ming, eine Art chinesischen Totensonntag, außerdem das Mittherbstfest, das Drachenbootfestival, Buddhas Geburtstag und, wenn man in Festlandchina wohnt, auch den Internationalen Frauentag, den Tag des Kindes, den Ersten Mai und den Nationalfeiertag am Ersten Oktober noch dazu und obendrein. Aber weil Chinesen erstens gerne feiern und zweitens gerne kopieren, darf ich jedes Jahr ein Weihnachten erleben, das sich gewaschen hat.
Ganz
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