Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
Verhütung sei sowieso überflüssig, wenn man ja auch – siehe Weihnachten – als Jungfrau ein Kind bekommen kann.
Als ich 2005 von Singapur nach Peking zog, hoffte ich, damit dem Weihnachtsklamauk endgültig zu entkommen. Immerhin ist Festlandchina ein atheistischer Staat, in dem vor kaum mehr als dreißig Jahren das Christentum und jedwede religiöse Äußerung unbarmherzig verfolgt wurden. Doch als sich hier der Weihnachtstermin näherte, musste ich begreifen, dass selbst die Festlandchinesen an Weihnachten auf die Pauke hauen, und zwar jedes Jahr ein bisschen kräftiger. Was in Peking mit ein paar mickrigen Bäumchen angefangen hat, ist mittlerweile ein Wettbewerb um den höchsten Baum der Stadt. 2008 hatten dann die Weihnachtsbäume vor dem Olympiastadion bereits eine Höhe von dreißig Metern. Noch ein paar Jahre, dann wird auf dem Tian-An-Men-Platz der höchste Weihnachtsbaum der Welt stehen, begehbar und mit Zimmern drin, die man mieten kann. Und der Weihnachtsrummel beschränkt sich nicht auf die Hauptstadt. Im sibirisch kalten Harbin im Norden Chinas hat man bis vor wenigen Jahren beim Internationalen Eis- und Schneeskulpturenfestival noch Arbeiter und Bauern aus dem Eis modelliert. Im Winter 2008 war es dann ein hundertsechzig Meter langer und vierundzwanzig Meter hoher Weihnachtsmann. In der Lobby des Sheraton Lido Hotel in der Provinzhauptstadt Shenyang wurde zur gleichen Zeit die größte Pfefferkuchenstadt der Welt errichtet, bestehend aus fünfundzwanzigtausend Pfefferkuchen und mit einem Gewicht von mehr als tausend Kilo. In der Kleinstadt Dali saß ich eines Weihnachtstages in einer Bar fest, weil draußen die Dorfjugend mit Schleimwürmern und Konfettischlangen, die sich aus Sprühdosen verspritzen ließen, Jagd auf Passanten machte. Weihnachten hat in China inzwischen den Charakter eines großen Karnevals angenommen, und es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis diese Krawallveranstaltung in genau dieser Form wieder zurück nach Europa schwappt.
Das Schlimmste an der chinesischen Weihnacht aber ist, dass sie mit dem 27. Dezember nicht endet. Ganz so wie in der Heinrich-Böll-Satire «Nicht nur zur Weihnachtszeit» wird in den Hongkonger Shopping-Malls und Supermärkten das Weihnachtsmusikprogramm auch nach den Feiertagen einfach weitergedudelt, oft bis zum chinesischen Neujahr, das manchmal erst Mitte Februar beginnt. In chinesischen Provinzstädten sah ich «Happy Christmas»-Sticker auch im Hochsommer noch an Bars und Restaurants pappen, inklusive grinsenden Weihnachtsmännern. Noch schlimmer geht es in Peking zu. Hier fährt zu jeder Jahreszeit – Winter ausgenommen – ein Wagen durch die Straßen, der die Bäume am Straßenrand mit Schädlingsvernichtungsmittel besprüht. Dabei spielt er «Jingle Bells», offensichtlich zur Abschreckung und Warnung.
Zugegeben, nimmt man es genau, war Jesus Asiat, und selbst der Nikolaus stammt aus der Türkei. Doch das gibt den Chinesen noch lange nicht das Recht, einen solchen Schindluder mit unserem Weihnachtsfest zu treiben. Ich finde, damit sie begreifen, was sie da eigentlich tun, sollten wir langsam zum Gegenschlag ausholen. Wie wäre es, wenn wir auch im Westen damit begännen, urchinesische Feste zu kopieren, und zwar auf unsere Art? So könnte man zu ihrem allerwichtigsten Fest, dem chinesischen Neujahr, zum Beispiel die traditionellen Neujahrdumplings mit Bratwurst, Senf und Blauschimmelkäse füllen und dann ein paar Chinesen zum Essen einladen. In die Hong Bao, die roten Umschläge, in denen man zu Neujahr Geld verschenkt, packen wir kleine Zettelchen, auf denen wir uns über chinesische Mythen lustig machen. Kommt uns auf der Straße ein Chinese entgegen, schreien wir ihm mit grauenvollem Akzent den Neujahrsgruß «Chunjie kuaile» entgegen, und zwar mit Vorliebe im September oder August. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob diese Aktionen wirklich etwas bringen. Wahrscheinlich werden sie uns am Ende doch nur wieder von den Chinesen abgeguckt.
17 Wachskaulquappenhappen bei Weizenarbeit
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