Blind vor Wut
Drogerie auf der anderen Straßenseite ein paar Einkäufe zu machen. »Geschenke für meine Mutter. Zum Einzug.«
»Wie nett«, sagte Josie und nickte. »Aber du brauchst doch nicht lange dafür, oder? Sie einpacken zu lassen und alles? Ich bin so spät dran, ich muss mich sputen, nach Hause zu kommen, und …«
»Wird nicht länger als fünf Minuten dauern«, beruhigte ich sie. Und das tat es auch nicht. Josie war wenig später mit der Arbeit fertig. Wir überquerten die Straße und gingen zum Flussufer, weil Josie fand, das sei ein netterer Weg. Dann fielen ihr die Geschenke wieder ein, und sie fragte mich, was ich denn für Mutter besorgt hätte.
»Rate mal«, sagte ich. »Ich wette, du kommst nicht drauf.«
»Tja … Du hast es wohl in der Hosentasche, also muss es klein sein. Ähm … hm … ah, ich weiß! Ein Lippenstift und ein Taschenspiegel!«
»Nein, nicht mal lauwarm.«
»Also … Ein Feuerzeug? Ein Feuerzeug und …«
»Nein.«
»Aschenbecher? Bonbonschalen? Ein Aschenbecher und …«
»Nein.«
»Na gut, ich geb auf. Sag’s mir.«
»Nun, das eine Geschenk ist ein Schraubenzieher …«
»Ein Schrau…? Ach«, sagte Josie schnell. »Wie nett. Werkzeug kann man in einer neuen Wohnung immer gebrauchen.«
Das Werkzeug würde ich sofort brauchen, meinte ich, bevor Mutter heimkäme, für einen bestimmten Türknauf.
»Genauer gesagt, den Knauf an der Badezimmertür, wenn du den Ausdruck gestattest.«
»Das wird deine Mutter bestimmt gut finden«, sagte Josie ernst. »Ein wackliger Türknauf ist lästig, um das Mindeste zu sagen.«
»Oh, er ist noch gar nicht wacklig«, entgegnete ich. »Den mache ich erst wacklig. Damit er leicht abgeht, wenn man daran dreht.«
» Ab geht? Aber …« Josie verstummte und sah mich stirnrunzelnd an. »Aber wozu willst du das tun?«
Darauf gab ich ihr keine Antwort. Ich war zu sehr damit beschäftigt, sie anzusehen, sie zu saufen, wie ein Verdurstender Wasser saufen würde. An ihr war Schwarz schön. Vielleicht sollte ich besser sagen Hellbraun. Ihre Art von Hellbraun. Sie hatte nicht den Hintern und die Brüste von Liz Hadley, aber die brauchte sie auch nicht. Was sie hatte, war genau richtig an ihr, und sie war schön.
Ich schüttelte mich, riss mich aus meinen Gedanken. Himmel, was zum Teufel scherte es mich, ob sie schön war oder nicht?
In ein paar Jahren würde sie in einer dreigeschossigen Wohnung an der Park Avenue wohnen, und ihr Mann würde zwischen den Hirnoperationen nach Hause kommen und ihr seinen kleinen Mann ins Ohr schieben.
»Und?«, hakte Josie nach. »Wozu willst du das tun?«
»Das hat mit dem zweiten Geschenk zu tun«, antwortete ich. »Eine Flasche …« Ich unterbrach mich kopfschüttelnd. Aus irgendeinem Grund wollte ich ihr nicht verraten, dass es sich bei dem sogenannten Geschenk um ein schnell wirkendes Abführmittel handelte, das ich Mutter ins Essen schütten wollte.
»Egal«, winkte ich ab. »Ich wollte dich was fragen. War das wirklich Mr. Velies Füller, den du ihm zurückgegeben hast?«
»Aber – natürlich, sicher! Wessen sollte es denn sonst gewesen sein?«
Ich zuckte mit den Schultern und meinte, dass es ja auch genauso gut ihr eigener hätte sein können. Schließlich seien schwarze Füllfederhalter mit Goldrand nicht gerade selten.
»Ich dachte, du hättest vielleicht mitbekommen, dass er mich fertigmacht, und beschlossen, mich da rauszuhauen.«
»Habe ich nicht.« Josie zögerte und sah mich erneut stirnrunzelnd an. »Aber wenn du glaubst, dass es nicht sein Füller war, dann musst du …«
»Ihn tatsächlich gestohlen haben? Nein, nein. Es könnte auch eine andere Erklärung dafür geben. Aber ist schon gut. Ich wollte dich noch etwas anderes fragen.«
»Ja?«
»Hast du von den Lehrern irgendetwas über mich gehört? Wie ich mich als Schüler so mache?«
»Ob ich irgendetwas Schlimmes gehört habe, meinst du?« Josie lachte herzlich, weiße Zähne blitzten auf, der rosige Mund bog sich apart. »Mir ist nichts Besonderes zu Ohren gekommen. Aber ich habe hier und da ein wenig mitgekriegt …«
»Und?«
»Soll ich es dir wirklich sagen?«, lockte sie mit tanzenden Augen. »Wirklich und wahrhaftig?«
»Ja«, sagte ich, doch Josie meinte, erst solle ich sie schön darum bitten, und ich meinte: Du meine Güte. Sie solle es einfach vergessen.
»Du meine Güte«, äffte sie mich nach und machte ein langes Gesicht. »Das wenige, was ich gehört habe, war sehr schmeichelhaft. Du seist ein überragender Schüler –
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