Blind vor Wut
weh.«
»Das wollte ich wissen«, sagte ich. »Du bist noch nicht lange drauf, oder?«
»Lang genug. Drei, vier Monate.«
»Das ist doch nicht lang. Nicht für jemand so Junges wie du. Setz dich mal einen Augenblick hin.«
Das tat sie. Ich nahm den Beutel aus der Tasche und schüttete die sechs Tabletten aufs Bett. Sie beäugte sie, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, rührte sie aber nicht an.
Ich ging ins Bad und fing mit einem Wasserglas eine Küchenschabe. In ein zweites Glas tat ich etwas Wasser und trug beide zurück ins Zimmer. Das Mädchen runzelte leicht die Stirn, war verwirrt, sagte aber nichts. Junkies sind meist nicht sehr neugierig.
»Jetzt nehmen wir mal eine von diesen Dingern«, erklärte ich. »Egal welche. Such dir eine aus.«
»Tja …« Sie zuckte mit den Schultern. »Is deine Party.«
Sie gab mir eine, und ich ließ sie in das Glas mit dem Wasser fallen. Sie wandte ein, sie sei noch nicht so weit, um sich einen Schuss aufzukochen. Ich meinte nur, das sei egal. Sie könne die Lösung später aufkochen und sich spritzen … falls sie dann noch wolle.
»Was meinst du mit ›falls‹?«, fragte sie gereizt. »Ich bin jetzt schon so weit, bei deinem ganzen Getue.«
»Schau zu«, ermahnte ich sie. »Ich möchte ein kleines Experiment machen.«
Ich kippte das Glas und ließ vorsichtig ein, zwei Tropfen der milchigen Flüssigkeit vor die Schabe kullern. Sie saugte sie auf, zumindest ein wenig davon, und drehte sich auf den Rücken. Tot, im Bruchteil einer Sekunde.
»Mann …« Das Mädchen riss verängstigt die Augen auf. »Was wolltest du mir da unterjubeln?«
»Worum du mich gebeten hast«, antwortete ich. »Ich hab dir einen Beutel Pillen gekauft.«
»Ja, das haste, nicht? ’nen Beutel heiße Ware!«
»Nein«, erwiderte ich. »Das ist nicht alles Strychnin. Ein paar davon sind reines H. Ich weiß nicht mehr, wie viel ich wovon habe, und sie sehen alle gleich aus. Aber so ist das Leben nun mal, oder? Man kann nie wissen, wann man high wird und wann man einen Abgang macht.«
Sie fing an zu weinen.
Ich lachte sie aus.
»Dir tut nichts weh, Baby«, sagte ich. »Das glaubst du nur. Aber wenn es wirklich schlimm wird, dann brauchst du nur eine dieser Pillen aufzukochen. Und wer weiß, vielleicht hast du Glück. Vielleicht ist es H, kein Strychnin.«
»Du Mistkerl«, schluchzte sie. »Du verdammter Mist kerl.«
»Hm, mal sehen«, grübelte ich. »Habe ich nur eine Tablette Heroin gekauft oder waren es zwei? Oder drei oder vier oder fünf? Weißt du, gut möglich, dass die eine heiße Pille die einzige im Beutel war.«
Sie sah mich hilflos und mit Tränen in den Augen an. Plötzlich schnappte sie sich die Tabletten und hastete stolpernd ins Bad. Kurze Zeit später kehrte sie zurück, die Gläser waren frisch gespült, in einem davon eine Schabe.
»Du wirst schon sehen«, murmelte sie. »Ich find schon raus, was davon das gute Zeug ist.«
»Schon möglich«, meinte ich. »Aber glauben tu ich’s nicht.«
»Sicher! Ich zeig’s dir.«
»Weißt du«, fuhr ich fort, »mir ist gerade klar geworden, dass das Heroin eine Küchenschabe wahrscheinlich genauso schnell erledigt wie Strychnin. Die einzig sichere Methode, um herauszufinden, was nun was ist, besteht darin, es selbst zu nehmen.«
Sie sah mir in die Augen, sah mir flehend in die Augen und ließ die Gläser aus den zitternden Händen gleiten.
»Warum tust du mir das an, Mann? Ich hab dir nix getan.«
»Und ob, verdammt«, sagte ich. »Du bist eine stockdürre, schäbige, stinkende Schlampe, und du hast eine Fotze, für die sich selbst eine räudige Hündin schämen würde. Allein schon der Anblick hat mich beleidigt!«
»B-bitte«, flehte sie. »Ich brauch einen Schuss!«
»Bedien dich«, sagte ich. »Nimm dir, was du willst.«
Sie fing wieder an zu weinen, und ich schüttelte mich vor Lachen. Ich sagte ihr, sie solle die Tränen ruhig fließen lassen, vielleicht kämen genug zusammen, um damit ihren rostigen Hintern zu waschen.
»Ich hab einfach die Schnauze voll«, fuhr ich fort. »Ich bin für deine verdammten Sünden gekreuzigt worden, und ich bin kurz davor, dir das Kreuz überzubraten, an dem ich hänge. Himmel, ich weiß nicht, was schlimmer ist – dich zu riechen oder dich anzuschauen.«
»Warum, Mann? Warum tuste das …«
»Du musst leiden!«, erklärte ich. »Lasset die Kindlein leiden, auf dass sie in meinen Hut scheißen, denn ich trage eine Dornenkrone und brauche ihn nicht mehr. Nur durch Leid erlangst
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