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Blind vor Wut

Blind vor Wut

Titel: Blind vor Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Thompson
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Koffer mit allem, was ich mitnehmen wollte – darunter ein paar Sparbücher. Ich verließ die Wohnung für immer.
    Für immer .
    Zumindest hoffte ich, dass das für immer sein Gutes hatte.

25.
    Der Mond schien vom Himmel.
    Ich ging den Pfad am Fluss entlang, bis ich zu einer Bank kam, und setzte mich. Saß gedankenverloren da und sah auf den Fluss hinaus, der am Morgen in die eine Richtung fließt und am Abend in die andere, entsprechend der Gezeiten des Meeres, in das er mündet. Vielleicht der einzige Fluss, der in zwei verschiedene Richtungen fließt.
    Ich fühlte mich ihm verbunden, denn auch ich war in verschiedene Richtungen gegangen. Und stets war ich dabei genau dem Bösen begegnet, dem ich entfliehen wollte. Stets war ich voller Selbstzweifel, selbst wenn ich mir vollkommen sicher war. Genau wie jetzt …
    Ich hatte mir endlose Entschuldigungen für Mutter zurechtgelegt, hatte ihr zigtausend Mal verziehen; hatte mir die Schuld gegeben, mir selbst nie verziehen. Und gleichzeitig hatte ich sie gehasst, ihr nichts verziehen und mir dagegen alles.
    Ich hatte versucht, wann und wo auch immer alles recht zu machen. Doch in meinem Verstand sind Recht und Unrecht so miteinander verwoben, dass man sie nicht auseinanderhalten kann, also hatte ich mir meine eigenen Vorstellungen davon zurechtlegen müssen.
    Ich konnte Gott ja nicht die Schuld dafür geben, dass er verrückt geworden war. Ich war wohl ein ganzes Stück starrsinniger als er, und selbst ich war aus dem Gleichgewicht gekommen. Ich, der sich nur um Menschen kümmerte, die in seiner Vorstellung lebten, nicht mit Milliarden und Abermilliarden von Spatzen, die ständig abstürzten – und diese Stürze mussten ja aufgezeichnet werden –, wenn sie beim Scheißen auf Statuen das Gleichgewicht verloren.
    Nein, es war kein gottverdammtes Wunder, dass ich so war, wie ich war. Ich, das Ganze in Person, der ich schließlich entschieden hatte, dass auch sie das personifizierte Ganze war, und der ich sie niedergestreckt hatte – diesen wohlgeformten Haufen Scheiße, der so repräsentativ war für das Böse in der Welt.
    Nein, das war kein gottverdammtes Wunder. Doch ich entschuldigte und verdammte sie gleichzeitig. Ich verdammte mich und entschuldigte sie.
    Ich saß da, schaute auf den Fluss hinaus, der in zwei verschiedene Richtungen floss, und grübelte darüber nach, dass man in jede beliebige Richtung davonrennen konnte, bloß um am Ende, wenn man nur weit genug ging, wieder hier zu landen; und dann war man ausgepumpt und erschöpft, weil man nirgendwo hingekommen war. Vielleicht existieren Richtungen jenseits des Stecknadelkopfs namens Erde überhaupt nicht; vielleicht haben sie eine andere Dimension, genau wie der Raum-Zeit-Quotient. Und weil wir zu dumm waren, ihn zu entdecken, und Erfolg mit Bewegung gleichsetzten, würden wir am Ende in einer Explosion kollidierender Körper enden und das All mit herumfliegender Scheiße verstopfen.
    Jedenfalls …
    »Hab ich dich!« Velie packte mich von hinten und drückte mir mit seinen großen Händen die Kehle zu. »Hab ich dich, du Mistkerl! Wusste ich doch, dass du früher oder später rauskommen würdest, damit ich dich erwischen kann, und jetzt, bei Gott …!«
    Er drückte immer fester zu. Er fluchte und lachte irre, schmückte aus, was er mir alles antun würde. Was ja allzu offenkundig war: Er wollte mich erwürgen. Zwar hatte ich nicht sonderlich etwas dagegen, umgebracht zu werden, doch fand ich nicht, dass Velie Anrecht auf dieses Vergnügen hatte. Ich zog also die Rasierklinge aus dem Jackenaufschlag und schnitt ihm quer über die Knöchel.
    Er gab einen Schrei von sich und stolperte rückwärts auf die Straße. Direkt in das grelle Scheinwerferlicht eines herannahenden Taxis. Velie, der offenbar vertraut war mit der Haltung von New Yorker Taxifahrern (sie betrachten Fußgänger als Freiwild), gab wieder einen Schrei von sich und schoss dann buchstäblich die Straße entlang, um so sein drohendes Ende noch ein wenig hinauszuzögern.
    Das Taxi hielt mit quietschenden Reifen vor mir an. Mutter lehnte sich aus dem Seitenfenster.
    »Da bist du ja, du verdammter Mistkerl!«, schrie sie. »Am liebsten würde ich dir den Schädel zu Brei schlagen! Wenn ein Wachmann dich nicht gesehen und Verdacht geschöpft hätte und – ich konnte es ihm nicht erklären, verdammt! Er musste derart lachen, dass … dass … Du gemeiner, schmutziger, stinkender Hurensohn! Ein kleiner Wachmann, der mich auslacht und … und

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