Blind vor Wut
von unserem Wohnhaus entfernt angelangt war, machte sich Itzop Kozalski an die Verfolgung. Er fiel nie mehr als ein paar Meter hinter sie zurück. Manchmal, wenn sie an einer Kreuzung stehen blieb, stand er gar direkt neben ihr. Selbst in seinen besten Momenten war er ein ziemlich furchterregend wirkender Mistkerl, und heute war nicht gerade einer dieser Momente. Auf seinem langen, spitzen Kinn prangte ein Fu-Manchu-Bärtchen. Er trug eine riesige dunkle Sonnenbrille, und ölige Haarsträhnen baumelten wie Schlangen unter der Hutkrempe hervor. Beim Gehen zog er die Schultern ein, fast wie ein Buckliger, und obwohl es warm war, hatte er sich bis zu den Schuhspitzen in einen verdreckten, alten Re genmantel gehüllt.
Nach mehreren Blocks drehte sie sich zu ihm um, als er wieder neben ihr stand, und wollte wissen, warum er ihr folge.
»Und streiten Sie das ja nicht ab!«, sagte sie; die Wut gab ihr den Mut dazu. »Das tun Sie nun schon seit Wochen. Sie hatten andere Sachen an, und Sie haben sich nie so offen gezeigt. Aber das waren immer Sie!«
Sie sah sich wütend um, wollte einen Bullen rufen, nehme ich an. Aber natürlich wäre Itzop Kozalski ihr niemals so nahe gekommen, wenn da einer zu sehen gewesen wäre.
»Und?«, forderte sie ihn auf und hätte beinahe mit dem Fuß aufgestampft. »Antworten Sie gefälligst, Sie fürchterlicher Mensch, Sie! Warum sind Sie mir gefolgt?«
Ich weiß wohl, dass Itzops Sippschaft aus einer Gegend auf dem Balkan stammt, wo es keine Schriftsprache gibt und man sich zumeist mit Brummen und Stöhnen verständigt. Es war also einfach für ihn, sich mittels der entsprechenden Ausdrucksweise dumm zu stellen.
»Cha, Lady?«, fragte er. »Sie Karl Lemon, cha?«
»Nicht Karl, Carol«, korrigierte sie, »und der Nachname lautet Layman. Ich bin Mrs. Layman, ja.«
»Happ ich doch gesagt«, meinte Itzop schulterzuckend. »Karl Lemon, und ist Vitve. Der Mann, großer Rechtsvärdräher, tot sechs Monat.«
»Wagen Sie es bloß nicht, ihn Rechtsverdreher zu nennen!«, fauchte Carol. »Wer sind Sie überhaupt? Was …«
»Mann alt, wann du heiraten. Du erst Mädchen. Alter Mann dir gippt nich viel bunga-bunga, cha?«
Carol hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte; beim besten Willen nicht! Doch offenbar war sie eine komplette Idiotin, sonst hätte sie sich gar nicht erst auf einen Kerl wie Itzop eingelassen. Verstand war nicht der Grund gewesen, warum Papa sie geheiratet hatte. Und wenn Sie sich fragen, warum er es dann getan hatte – honigblonde Haare, eins achtundfünzig, Maße etwa 91–56–81, dann sind Sie zu jung, um das hier zu lesen.
Papa heiratete sie, da war ich neun – jetzt bin ich achtzehn. Ich war etwa acht, als er sie in den Kreis der Familie holte. Angeblich, damit sie auf mich aufpasste, was wirklich sehr witzig war, wissen Sie? Ein Brüller. Ich werde unsere erste Begegnung nie vergessen, und wenn ich hundertvierzig werde – was durchaus passieren kann, wenn mich das Leben so lange interessiert.
Es war erst acht Uhr abends, als Papa sie an die Tür zu meinem Zimmer brachte, sich dann entschuldigte und uns allein ließ (aus einer gewissen Feigheit heraus, natürlich). Normalerweise wäre ich zu so früher Stunde noch nicht im Bett gewesen. Doch Mama hatte mir einigen Ärger bereitet, hatte geweint und gedroht, sich umzubringen, also war ich ziemlich müde. Was vielleicht dazu beigetragen hat, dass ich ein wenig meinen Spaß mit Carol haben wollte.
Sie setzte sich auf die Bettkante. Sie war ziemlich nervös, nehme ich an, und versuchte, es durch Eifer und Freundlichkeit zu kompensieren. Sie wuschelte mir die Haare (ich hätte sie beinahe geschlagen) und meinte, sie könne erkennen, dass ich ein furchtbar netter Junge sei, und was nicht noch alles an Babygequatsche. Ich starrte sie unverwandt an, sagte kein Wort, und sie fing an zu stammeln und zu stottern. Schließlich holte sie tief Luft und versuchte es anders. Sie fände es einfach toll , hier zu sein, sagte sie, und sie sei ganz zuversichtlich , dass wir prima miteinander auskommen würden.
Endlich brach ich mein Schweigen. »Das ist sehr interessant«, sagte ich. »Und warum sind Sie so zuversichtlich?«
»Was?«
»Warum sind Sie so zuversichtlich, dass wir gut miteinander auskommen werden? Worauf gründet Ihre Hypothese?«
Wahrscheinlich hielt sie »Hypothese« für eine Hautlotion. Jedenfalls schien meine Frage sie zu verwirren.
»A-also«, stotterte sie. »Ich … ich meinte, ich hoffe, wir werden prima
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