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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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weil er sie beruhigen und Vertrauen schaffen wollte. Den einen oder anderen psychologischen Trick kannte auch Jude. »Ich lege das hier jetzt weg.« Er hielt das Montiereisen hoch, sodass sie es gut sehen konnte, und legte es dann auf die Theke. »Du hast einen Revolver, und ich bin jetzt unbewaffnet. Ich will nur meinen Hund, okay?«
    »Komm schon, Jude«, sagte Marybeth. »Bonnie läuft uns sowieso hinterher. Lass uns abhauen.«
    Marybeth war schon in der Garage und schaute durch die Tür zurück. Zum ersten Mal bellte jetzt Angus. Es dröhnte hallend in der hohen Garage mit dem Betonboden.
    »Komm her, Bon«, sagte Jude. Aber Bon ignorierte ihn, stattdessen machte sie einen nervösen, halbherzigen Satz auf Reese zu.
    Vor Schreck zuckten Reese die Schultern nach oben. Sie richtete den Revolver kurz auf Bon, dann aber sofort wieder auf Jude.
    Jude schob vorsichtig einen Fuß vor und war schon fast in Reichweite von Bons Halsband.
    »Stop, keinen Schritt weiter!«, schrie Jessica. Aus den Augenwinkeln nahm Jude eine Bewegung war.
    Jessica kroch über den Boden, und als Jude sich umdrehte, sprang sie auf und stürzte sich auf ihn. Er sah etwas Glattes, Weißes in ihrer Hand aufblitzen, wusste aber erst, was es war, als sie es ihm ins Gesicht rammte – eine breite Scherbe von einem der zerbrochenen Teller. Sie hatte auf sein Auge gezielt, aber Jude konnte den Kopf gerade noch abwenden, sodass sie ihn stattdessen an der Wange erwischte.
    Er riss den linken Arm hoch und schlug ihr mit demEllbogen unters Kinn. Dann zog er die spitze Scherbe aus der Wange, warf sie weg, packte mit der anderen Hand das Montiereisen auf der Theke und schlug es Jessica seitlich gegen den Hals. Er spürte, wie das Metall dumpf und hart auf das Fleisch prallte, und sah, wie Jessica die Augen aus den Höhlen quollen.
    »Nein, Jude, nicht!«, schrie Marybeth.
    In einer einzigen Bewegung wirbelte er herum und duckte sich, sah gleichzeitig das erschrockene Gesicht des Mädchens, ihre vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, und hörte im nächsten Augenblick den Schuss. Er war ohrenbetäubend. Auf der Küchentheke explodierte eine Glasvase mit weißen Kieseln und ein paar falschen wächsernen Orchideen. Glassplitter und Steinbröckchen flogen durch die Luft.
    Das Mädchen taumelte nach hinten und stolperte über einen Teppichrand, als Bon zum Sprung ansetzte. Reese fing sich wieder, und genau in der Sekunde, als Bon hart gegen sie prallte und sie von den Beinen riss, krachte der nächste Schuss.
    Die Kugel traf Bon von unten in den hinteren Teil des Körpers und riss ihr Hinterteil senkrecht in die Höhe. Sie schlug in der Luft einen Salto, knallte gegen die Schranktüren unter dem Spülbecken und blieb dort liegen. Die Pupillen waren nach oben gerutscht, sodass nur noch das Weiße der Augen zu sehen war. Das schlaffe Maul stand offen. Und dann – wie ein Geist aus dem Schnabel einer Wunderlampe – schoss der Hund aus schwarzem Rauch, der in ihrem Inneren lebte, aus dem Maul hervor und rannte an dem kleinen Mädchen vorbei hinaus auf die Veranda.
    Die auf dem Tisch kauernde Katze sah ihn kommen und fauchte. Das graue Rückenfell stellte sich auf. Als der Hund aus schwarzem Rauch wie schwerelos auf den Tisch sprang, schoss sie nach rechts davon. Die Schatten-Bon schnappte spielerisch nach dem Schwanzder Katze und hüpfte hinter ihr her. Im Flug vom Tisch auf den Boden glitt Bons Geist durch einen hellen Lichtstrahl der Morgensonne und war im gleichen Augenblick verschwunden.
    Jude starrte auf die Stelle, wo der schwarze Schattenhund sich aufgelöst hatte. Einen Moment lang war er so überwältigt, dass er außerstande war, irgendetwas zu tun. Er konnte nur fühlen. Er fühlte die Erregung eines Wunders, die so intensiv war wie ein Elektroschock. Er fühlte sich beglückt, dass er etwas so Schönes und Zeitloses hatte sehen dürfen.
    Und dann schaute er zu Bons totem, leerem Körper. Die Wunde in ihrem Bauch war eine Horrorshow, ein blaues, blutiges Eingeweideknäuel, das hervorquoll. Die lange rosa Zunge hing ihr obszön aus dem Maul. Es erschien ihm unvorstellbar, dass eine Kugel diese totale Verwüstung hatte bewirken können. Bon sah aus, als hätte man sie ausgeweidet. Überall war Blut, an den Wänden, den Küchenschränken, an Judes Körper und auf dem Boden, wo es sich zu einer dunklen Lache ausbreitete. Bon war schon tot gewesen, als sie auf den Fliesen aufgeschlagen war. Ihr Anblick traf Jude wie ein weiterer, anders gearteter

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