Blind
an, das nach seiner Mutter schrie.
Schweiß, vielleicht war es auch Blut, tropfte in Judes rechtes Auge. Es brannte. Unwillkürlich hob er die rechte Hand, um die Flüssigkeit wegzuwischen, und fuhr sich mit dem Stumpf seines Zeigefingers über die Augenbrauen. Es fühlte sich an, als hätte er seine Hand auf einen heißen Grill gelegt. Der Schmerz schoss ihm durch den ganzen Arm bis in die Brust, wo er sich in etwas anders verwandelte: in Kurzatmigkeit, in ein eisiges Kribbeln hinter seinem Brustbein, in ein Gefühl, das so scheußlich wie faszinierend war.
Marybeth ging auf unsicheren Beinen vorn um denMustang herum und zog das verbogene, kreischende Metall der Fahrertür auf. Dann bückte sie sich und hob etwas auf, das wie ein riesiger schwarzer Matchbeutel aussah. Der Beutel tropfte. Nur dass es kein Beutel war, es war Angus. Sie zog den Fahrersitz nach vorn, hievte Angus auf den Rücksitz und stieg ein.
Als Marybeth den Motor anließ, drehte Jude sich um sosehr es ihn auch davor graute, sosehr verspürte er das Bedürfnis, seinen Hund anzuschauen. Angus hob den Kopf und schaute ihn mit feuchtglasigen, blutunterlaufenen Augen an. Er winselte leise. Seine Hinterbeine waren zerschmettert. Aus einem ragte direkt über dem Gelenk ein Stück roter Knochen aus dem Fell.
Jude drehte sich wieder um und schaute Marybeth an, ihr verschrammtes Kinn, den schmalen, bitteren Strich ihrer Lippen. Der Verband an ihrer verschrumpelten rechten Hand war durchgeweicht. Jude und Marybeth und ihre Hände. Wenn das alles irgendwann einmal vorbei war, würden sie sich mit Prothesenhaken umarmen.
»Schau uns an«, sagte Jude. »Wir drei geben vielleicht ein Bild ab.« Er hustete. Das Kribbeln in der Brust ließ nach … wenn auch nur langsam.
»Wir fahren jetzt ins Krankenhaus.«
»Kein Krankenhaus. Zurück auf den Highway.«
»Herrgott, du kannst draufgehen.«
»Wenn wir ins Krankenhaus fahren, gehe ich ganz sicher drauf. Und du auch. Ist für Craddock ein Klacks, uns da den Rest zu geben. Solange Angus noch lebt, haben wir eine Chance.«
»Wie soll Angus uns jetzt noch …«
»Craddock hat keine Angst vor dem Hund. Er hat Angst vor dem Hund im Innern des Hundes.«
»Was redest du da, Jude? Ich versteh kein Wort.«
»Fahr los. Die Blutung an meinem Finger kann ich selbst stoppen. Ist ja nur einer. Fahr auf den Highway.
Und dann Richtung Westen.« Um die Blutung zu verlangsamen, hielt er die rechte Hand neben dem Kopf senkrecht in die Höhe. Er dachte nach. Nicht darüber, wohin sie fahren sollten. Es kam nur ein Ort infrage.
»Richtung Westen? Wohin da?«, fragte Marybeth.
»Nach Louisiana«, sagte Jude. »Nach Hause.«
39
Der Erste-Hilfe-Kasten, der sie seit New York begleitete, lag auf dem Boden vor der Rückbank. Übrig waren noch eine kleine Rolle Verbandstoff, Sicherheitsnadeln und Schmerzmittel – Kapseln, die in glänzende, nahezu unzerstörbare Plastikhüllen eingeschweißt waren. Er riss die Verpackungen mit den Zähnen auf und schluckte sechs Kapseln trocken hinunter. Es nutzte nichts. Seine Hand fühlte sich immer noch an wie ein Klumpen heißes Eisen, das auf einem Amboss langsam, aber mit regelmäßigen Schlägen flach geklopft wurde.
Andererseits bewirkten die Schmerzen, dass er nicht wegdämmerte, sie bildeten eine Art Anker für sein Bewusstsein, hielten seine Verbindung zur realen Welt aufrecht: dem Highway, den grünen Schildern mit den Entfernungsangaben, der klappernden Klimaanlage.
Jude war sich nicht sicher, wie lange er noch klar denken konnte, und er wollte die Zeit nutzen, um Marybeth ein paar Dinge zu erklären. Er sprach stockend, mit zusammengebissenen Zähnen, und wickelte währenddessen den Verband um seine verstümmelte Hand.
»Die Farm meines Vaters liegt gleich hinter der Staatsgrenze von Louisiana in Moore's Corner. Wir brauchen keine drei Stunden für die Strecke. In drei Stunden werde ich schon nicht verbluten. Mein Vater ist krank, er ist nur noch selten bei Bewusstsein. Eine alte Frau ist bei ihm, eine angeheiratete Tante, staatlich geprüfte Krankenschwester. Sie kümmert sich um ihn. Auf meine Rechnung. Sie hat Morphium. Für seine Schmerzen. Und er hat Hunde. Ich glaube, im Moment hat er … jaklar, er hat zwei Hunde. Dieser Wichser, dieser gottverdammte Wichser. Zwei Schäferhunde, genau wie meine. Brutale Scheißviecher.«
Als er den Verband ganz um seine Hand gewickelt hatte, fixierte er ihn mit einer Krokodilklemme und zerrte sich dann die Schuhe und die Strümpfe von
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