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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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hervortreten, die Neigung der Backenknochen, die tiefen Falten um seinen Mund. Nur die Gläser seiner Brille verdunkelten sich und verbargen seine Augen hinter schwarzen kreisrunden Flächen.
    »Seit du mit diesem Mann zusammengelebt hast, bist du nicht mehr dieselbe«, sagte der alte Mann. »Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, Anna-Liebling. Du hast schlimme Zeiten durchgemacht, keiner weiß das besser als ich. Aber dieser Kerl, dieser Coyne, hat anscheinend dein Elend erst richtig voll aufgedreht. Und zwar so laut, dass du meine Stimme nicht mehr hörst, wenn ich mit dir reden will. Es bricht mir das Herz, dich so traurig und verwirrt zu sehen.«
    »Ich bin nicht verwirrt, und ich bin auch nicht dein Liebling. Und eins sag ich dir: Wenn du näher als einen Meter an mich rankommst, dann wird's dir leidtun.«
    »Zehn Minuten«, sagte Jessica.
    Craddock machte eine ungeduldige Handbewegung, damit sie den Mund hielt.
    Anna schaute kurz zu ihrer Schwester, dann wieder zu Craddock. »Wenn ihr glaubt, ihr könnt mich mit Gewalt hier festhalten, dann habt ihr euch getäuscht.«
    »Niemand wird dich zu irgendetwas zwingen«, sagte Craddock, als er an Jude vorbeiging.
    Sein Gesicht war zerfurcht, die Haut sah ungesund aus, und die Sommersprossen hoben sich deutlich von dem wachsweißen Fleisch ab. Sein Gang war mehr ein Schlurfen, leicht vorgebeugt, was, so Judes Vermutung, wahrscheinlich von einer angeborenen Rückgratverkrümmung herrührte. Tot sah er besser aus.
    »Glaubst du etwa, dass Coyne dir helfen wird?«, fuhr Craddock fort. »Wenn ich mich recht erinnere, hat er dich rausgeschmissen. Er beantwortet doch nicht malmehr deine Briefe, oder? Er hat dir damals nicht geholfen, warum sollte er es jetzt tun?«
    »Er hat nicht gewusst, wie. Ich hab's ja selbst nicht gewusst. Jetzt weiß ich es. Ich werde ihm erzählen, was du getan hast und dass du ins Gefängnis gehörst. Und weißt du, was? Er wird seine Anwälte aufmarschieren lassen, damit du genau da landest.« Sie warf Jessica einen kurzen Blick zu. »Und sie auch … wenn sie sie nicht ins Irrenhaus stecken. Ist mir egal, wenn's nur weit genug weg von Reese ist.«
    »Daddy«, schrie Jessica, worauf Craddock nur mit einer ruckartigen Kopfbewegung reagierte. Halt deinen Mund!
    »Glaubst du, dass er dich überhaupt sehen will? Dass du bloß anzuklopfen brauchst, und dann macht er dir die Tür auf? So wie ich das sehe, ist er schön längst wieder mit einer anderen zusammen. Da draußen laufen jede Menge hübsche Mädchen rum, die für einen Rockstar nur zu gern ihr Röckchen lupfen. Ist ja nicht so, dass du ihm irgendwas zu bieten hättest, das er sich nicht auch woanders besorgen könnte – ohne die emotionalen Scherereien.«
    Kurz huschte ein Ausdruck des Schmerzes über Annas Gesicht, und sie sackte ein klein wenig in sich zusammen: ein vom Rennen atemloser, angeschlagener Läufer.
    »Das spielt keine Rolle, ob er mit jemand anderem zusammen ist. Er ist mein Freund«, sagte sie kleinlaut.
    »Er wird dir nicht glauben. Keiner wird dir glauben, und zwar deshalb, meine Liebe, weil es nicht wahr ist. Kein Wort davon«, sagte Craddock und machte einen Schritt auf sie zu. »Du bist mal wieder ein bisschen durcheinander, Anna.«
    »Genau«, sagte Jessica leidenschaftlich.
    »Selbst die Bilder sind nicht das, was du glaubst. Ich kann dir das erklären, wenn du mich lässt. Ich kann dir helfen, wenn …«
    Aber er war ihr zu nahe gekommen. Anna sprang auf ihn zu, riss ihm die runde Hornbrille aus dem Gesicht und stieß ihn mit der anderen Hand, in der sie immer noch das Kuvert hielt, hart gegen die Brust. Er schrie auf, stolperte nach hinten, knickte mit dem linken Knöchel um und fiel in den Flur hinein – und nicht auf die Treppe zu, wie Jessica behauptet hatte. Anna hatte nie versucht, ihn die Treppe hinunterzustürzen.
    Craddock landete auf seinem knochigen Hintern. Der dumpfe Schlag ließ den ganzen Flur erzittern, sodass Craddocks Porträt verrutschte und jetzt schief an der Wand hing. Er wollte sich aufsetzen, doch Anna drückte ihn mit einem Fuß wieder nach unten. Sie zitterte heftig.
    Jessica kreischte auf, rannte die letzten Treppenstufen hinauf und fiel neben ihrem Stiefvater auf die Knie.
    Jude konnte nicht mehr länger still sitzen und stand auf. Er war darauf gefasst, dass die Welt um ihn herum sich wieder verzerrte. Und das tat sie auch. Wie ein Bild, das sich in einer Seifenblase spiegelte, dehnte sie sich aberwitzig nach allen Seiten aus. Seine

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