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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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den Ohren gekrault, war dann noch weiter nach hinten gekrochen und hatte ihre Nase an der von Bon gerieben. »Na, wer sind denn meine beiden kleinen Helden? Na, wer denn? Ja, ihr natürlich, ihr seid meine Allerbesten«, und so weiter und so fort, bis Jude von dem Gesülze schier halb wahnsinnig geworden war.
    Georgia kam aus der Rezeption, wedelte ihm mit dem Schlüssel zu, der an einem ihrer Finger hing, drehtesich dann um und ging um das Gebäude herum. Er folgte ihr im Wagen zur Rückseite des Motels und stellte den Mustang vor einer beigefarbenen Tür zwischen anderen beigefarbenen Türen auf einen leeren Parkplatz.
    Georgia ging mit Angus ins Zimmer, während Jude mit Bon an einem Wäldchen aus verworrenem, dichtem Gestrüpp, das an den Parkplatz angrenzte, eine Runde drehte. Dann übergab er Bon an Georgia und machte sich mit Angus auf den Weg. Es war wichtig, dass sie sich beide immer in der Nähe der Hunde aufhielten.
    Das Wäldchen hinter dem Motel war anders als der Wald, den sein Farmhaus in Piecliff, New York, umgab. Das hier war unverkennbar Wald aus dem Süden, er roch nach süßlicher Fäule, feuchtem Moos und rotem Lehmboden, nach Schwefel und Abwasser, nach Orchideen und Motoröl. Die Atmosphäre selbst war anders, die Luft dichter, wärmer, klebrig feucht. Wie eine Achselhöhle. Wie Moore's Corner, wo Jude aufgewachsen war. Angus schnappte nach den Glühwürmchen, die überall wie ätherische grüne Lichtperlen in den Farnen herumtanzten.
    Jude machte sich auf den Weg zurück zum Motelzimmer. In den zehn Minuten, die sie gebraucht hatten, um Delaware zu durchqueren, hatte er an einer Sunoco-Tankstelle vollgetankt und auch daran gedacht, ein halbes Dutzend Büchsen Hundefutter zu kaufen. Dafür hatte er Pappteller vergessen. Während Georgia im Bad war, zog er eine Schublade aus der Frisierkommode, öffnete zwei Büchsen, kippte den Inhalt in die Schublade und stellte sie auf den Boden. Die Hunde fielen darüber her, und dann war nur noch nasses Sabbern und Schlingen, raues Ächzen und Hecheln zu hören.
    Georgia kam aus dem Bad und blieb in der Tür stehen. Sie trug einen ausgebleichten weißen Slip und ein bauchfreiesTrägeroberteil. Bis auf die glänzenden schwarzen Fußnägel hatte sie sich alle Spuren des Goth-Girls abgeschrubbt. Die rechte Hand war frisch verbunden. Mit gerümpfter Nase, halb belustigt, halb angeekelt, betrachtete sie die Hunde.
    »Mann, wir sind vielleicht Schweine. Wenn die Putze rausfindet, dass die Hunde aus der Schublade der Frisierkommode gefressen haben, wird man uns hier im Days Inn von Fredericksburg wohl nicht mehr willkommen heißen.« Sie war wieder in ihren Hillbilly-Slang verfallen, übertrieb ihn sogar absichtlich, wie um ihn zu verwirren. Schon den ganzen Nachmittag über hatte sie alle G verschluckt und die Vokale in die Länge gezogen, mal mehr, mal weniger, manchmal aus Alberei, manchmal aber auch, so glaubte Jude zumindest, ohne dass es ihr auffiel. Als ob sie sich seit der Abreise aus New York auch von der Person entfernte, die sie dort gewesen war, als ob sie unbewusst wieder Stimme und Verhaltensweisen der Person annahm, die sie früher einmal gewesen war: das magere Mädchen aus Georgia, das es lustig fand, nackt mit den Jungs in den See zu hüpfen.
    »Ich hab Leute erlebt, die haben in Hotelzimmern noch ganz anders gewütet«, sagte er. Sein eigener Akzent, der sich im Lauf der Jahre ziemlich abgeschliffen hatte, kam auch wieder stärker durch. Wenn er nicht aufpasste, dann würde er sich schon in South Carolina wie ein Komparse aus der Country-Show Hee Haw anhören. Es war nicht leicht, sich in die Gegend zu wagen, wo man aufgewachsen war, ohne wieder die Eigenschaften der Person von damals anzunehmen.
    »Dizzy, mein Bassist, hat mal in eine Frisierkommode geschissen, weil ich nicht schnell genug aus'm Bad gekommen bin.«
    Georgia lachte, aber er sah auch, dass sie ihn mit einiger Besorgnis betrachtete – möglicherweise fragtesie sich, was in seinem Kopf vorging. Dizzy war tot. Aids. Jerome, der Rhythmusgitarre, Keyboards und so ziemlich jedes andere Instrument gespielt hatte, war auch tot. Er war mit hundertvierzig Meilen gegen einen Baum gekracht und hatte dabei seinen Porsche zerquetscht wie eine Bierdose. Nur eine Handvoll Leute wussten, dass er nicht betrunken, sondern stocknüchtern gewesen war, dass er den Unfall mit voller Absicht gebaut hatte.
    Kurz nach Jeromes Abgang war Kenny ausgestiegen, hatte gesagt, er wolle etwas mehr Zeit mit

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