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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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wiederholte Georgia. »Weißt du, warum sie sich umgebracht hat? Hat sie es gemacht, weil du sie rausgeschmissen hast?«
    »Ihre Schwester glaubt das offenbar. Und der Stiefvater auch, nehme ich mal an, schließlich ist er hinter uns her.«
    »Der Geist… er kann Menschen dazu zwingen, etwas Bestimmtes zu tun. Mich zum Beispiel, den Anzug zu verbrennen. Oder Danny, sich aufzuhängen.«
    Die Geschichte von Danny hatte er ihr während der Fahrt erzählt. Georgia hatte das Gesicht zum Fenster auf ihrer Seite gedreht, und Jude hatte eine Zeit lang ihr leises Weinen gehört, feuchte, erstickte Geräusche, die sich dann in das langsame, regelmäßige Ein- und Ausatmen eines Schlafenden verwandelt hatten. Das war das erste Mal, dass einer von beiden Danny wieder erwähnt hatte.
    Jude sprach weiter. »Der tote Mann, Annas Stiefvater, hat in der Armee, beim Foltern in Vietnam, Hypnose gelernt und ist nach dem Krieg dabei geblieben. Hat sich gern einen Mentalisten genannt. Im Leben hat er die Kette mit der silbernen Klinge dran als Pendel benutzt, um die Leute in Trance zu versetzen. Jetzt ist er tot, jetzt braucht er das nicht mehr. Da ist irgendwas in dem, was er sagt, und man muss es einfach tun. Plötzlich lehnst du dich zurück und schaust ihm dabei zu, wie er dich hin und her hetzt. Du spürst absolut nichts. Dein Körper ist wie ein Anzug, aber nicht du trägst ihn, sondern er.« Ein Totenanzug, dachte Jude voller Abscheu. Dann sagte er: »Viel weiß ich nicht über ihn. Anna hat nicht gern über ihn geredet. Aber ich weiß, dass sie eine Zeit lang als Handleserin gearbeitet hat. Sie hat erzählt, ihr Stiefvater hätte ihr das beigebracht. Er hat sich für die weniger bekannten Aspekte des menschlichen Geistes interessiert. Zum Beispiel hat er sich am Wochenende als Wünschelrutengänger anheuern lassen.«
    »Das sind diese Typen, die mit einem Stock in der Luft rumfuchteln und so Wasser finden, oder? Meine Oma hatte mal einen alten Hillbilly angeheuert, derhatte den ganzen Mund voller Goldzähne. Der sollte ihr einen neuen Brunnen finden, als der alte ausgetrocknet war. Der hatte einen Stock aus Hickory-Holz.«
    »Annas Stiefvater, Craddock, hatte mit Stöcken nichts am Hut. Er hat einfach seine Kette mit der hübschen Klinge genommen. Schätze, dass Pendel genauso gut funktionieren. Egal, diese durchgeknallte Schlampe, die mir den Anzug geschickt hat, diese Jessica McDermott Price, wollte mir jedenfalls Bescheid geben, dass ihr Vater, wenn er tot ist, mit mir abrechnen würde. Deshalb glaube ich, dass der alte Mann schon so ein paar Ideen im Kopf hatte, wie er wieder zurückkommen würde. Mit anderen Worten, er ist kein Geist per Zufall, wenn das überhaupt einen Sinn ergibt. Das, was er jetzt abzieht, macht er gezielt.«
    Irgendwo in der Ferne kläffte ein Hund. Bon hob den Kopf, schaute wachsam zur Tür und legte dann ihren Kopf wieder auf die Pfoten.
    »War sie hübsch?«, fragte Georgia.
    »Anna? Ja, sicher. Du willst wissen, ob sie gut in der Kiste war?«
    »Ich frag ja nur. Brauchst nicht gleich den Arsch raushängen lassen deswegen.«
    »Na dann. Stell keine Fragen, auf die du eigentlich keine Antwort willst. Ich will ja auch nichts über deine letzten Ficks wissen.«
    »Letzten Ficks. Scheiße. So denkst du also von mir? Der aktuelle Fick, bald der vorletzte Fick?«
    »Herrgott noch mal. Sind wir wieder so weit?«
    »Ich steck meine Nase nicht in deine Sachen, ich will nur diese ganze Geschichte verstehen.«
    »Was hilft es dir, irgendwas zu verstehen, was mit unserem Geist zu tun hat, wenn du weißt, ob sie hübsch war?«
    Georgia zog sich die Bettdecke bis ans Kinn und schaute ihn im Dunkeln an.
    »Sie war also Florida, und ich bin Georgia. In welchen anderen Staaten war dein Schwanz sonst noch zu Besuch?«
    »Kann ich nicht sagen. Hab nirgendwo eine Landkarte mit Pinnfähnchen. Willst du wirklich, dass ich eine Schätzung abgebe? Und wo wir schon beim Thema sind, warum bei den Bundesstaaten aufhören? Ich hab dreizehn Welttourneen auf dem Buckel, und mein Schwanz war immer mit dabei.«
    »Verdammtes Arschloch.«
    Er grinste in seinen Bart. »Ich weiß schon, für eine Jungfrau wie dich ist das wahrscheinlich ziemlich schockierend. Und hier noch was Neues: Ich hab eine Vergangenheit. Und zwar seit vierundfünfzig Jahren.«
    »Hast du sie geliebt?«
    »Du kannst einfach keine Ruhe geben, was?«
    »Das ist wichtig, verdammt noch mal.«
    »Warum soll das jetzt wichtig sein?«
    Sie sagte nichts.
    Er setzte sich

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