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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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seinen Kindern verbringen. Kenny hatte genug gehabt von Nippelringen und schwarzen Lederhosen, von Pyrotechnik und Hotelzimmern, hatte in der letzten Phase ohnehin nur noch so getan, als ob. Damit war das Ende der Band besiegelt gewesen. Seitdem war Jude Solokünstler.
    Vielleicht war er nicht einmal mehr das. Zu Hause in seinem Studio lag ein Karton mit Demobändern von fast dreißig neuen Songs. Aber das war eine private Sammlung. Ihm hatte nichts daran gelegen, sie auch nur irgendwem vorzuspielen. Es war nur noch mehr von dem immer gleichen Zeug. Was hatte Kurt Cobain gesagt? Strophe Refrain Strophe. Immer wieder das Gleiche. Jude scherte sich einen Dreck. Aids hatte sich Dizzy geschnappt, die Straße Jerome. Jude scherte sich nicht darum, ob noch mehr Musik von ihm kam.
    Die Art und Weise, wie die Dinge sich entwickelt hatten, ergab keinen Sinn für ihn. Der Star war immer er gewesen. Die Band hatte sich Jude's Hammer genannt. Er war derjenige, der jung einen tragischen Tod hätte sterben müssen. Jerome und Dizzy hätten weiterleben müssen, um Jahre später in einer VHl-Retrospektive Drogen-und-Weiber-Geschichten über ihn zu erzählen beide mit Halbglatze, fett und manikürt, im Frieden mit ihrem Reichtum und ihrer wilden, lärmenden Vergangenheit.Aber irgendwie hatte es noch nie zu Judes Stärken gehört, sich ans Drehbuch zu halten.
    Jude und Georgia aßen die Sandwiches von der Tankstelle in Delaware, wo er auch das Hundefutter gekauft hatte. Sie schmeckten wie die Klarsichtfolie, in die sie eingewickelt waren.
    In der Late-Night-Show von Conan O'Brien spielten My Chemical Romance. Sie trugen Ringe in den Lippen und Augenbrauenwülsten, und ihre Haare standen in Stacheln vom Kopf ab, aber unter dem weißen Pfannkuchen-Make-up und dem schwarzen Lippenstift sahen sie aus wie ein Haufen pausbäckiger Jungs, die wahrscheinlich noch vor ein paar Jahren in der Blaskapelle ihrer Highschool mitgespielt hatten. Sie sprangen herum und schubsten sich gegenseitig über die Bühne, als ob der Boden unter Strom stünde. Sie spielten wie die Irren und schrien sich ihre Ängste aus dem Leib. Jude mochte sie. Er fragte sich, wer von den Jungs wohl als Erster starb.
    Danach schaltete Georgia die Nachttischlampe aus, und sie lagen nebeneinander im Dunkeln. Die Hunde hatten sich auf dem Boden zusammengerollt.
    »Wir sind ihn immer noch nicht los, oder?«, sagte sie.
    »Ich meine, dadurch, dass ich den Anzug verbrannt habe.« Der Daisy-Duke-Akzent war verschwunden.
    »War trotzdem eine gute Idee.«
    »Nein, war's nicht.« Und dann: »Er hat mich dazu gebracht, dass ich's tue, stimmt's?«
    Jude antwortete nicht.
    »Was machen wir, wenn wir ihn uns nicht vom Hals schaffen können?«, fragte sie.
    »Uns an den Geruch von Hundefutter gewöhnen.«
    Sie lachte, wobei ihr Atem ihn am Hals kitzelte.
    »Wenn wir ankommen, da, wo wir hinwollen, was machen wir dann?«, fragte sie.
    »Wir reden mit der Frau, die mir den Anzug geschickthat. Wir finden raus, ob sie weiß, wie wir den Anzug wieder loswerden können.«
    Auf dem Highway brummte der Verkehr. Die Grillen zirpten.
    »Wirst du ihr wehtun?«
    »Weiß nicht. Vielleicht. Wie geht's deiner Hand?«
    »Besser«, sagte sie. »Und deiner?«
    »Besser«, sagte er.
    Er log und war sich ziemlich sicher, dass auch sie log. Nachdem sie das Zimmer betreten hatten, war Georgia ins Bad gegangen, um sich die Hand frisch zu verbinden. Danach hatte er sich selbst einen frischen Verband angelegt und ihren alten im Müll gesehen. Er hatte die Mullbinden aus dem Papierkorb gezogen und sie sich genauer angeschaut. Sie hatten nach Entzündung und Wundsalbe gestunken und waren voller getrockneter Blutflecke und etwas verkrustetem Gelben gewesen, das nur Eiter sein konnte.
    Was seine Hand anging, so sollte die klaffende Wunde wahrscheinlich genäht werden. Bevor sie am Morgen das Haus verließen, hatte er den Erste-Hilfe-Kasten aus einem der Oberschränke in der Küche genommen, die Schnittwunde mit ein paar Klammerpflastern geschlossen und dann mit weißem Mull umwickelt. Aber die Wunde hörte nicht auf zu bluten, und als er den Verband abgenommen hatte, war er von Blut fast völlig aufgeweicht gewesen. Das Loch in der linken Hand hatte sich zwischen den Pflastern hindurch nach oben gewölbt und sah aus wie ein rotes, flüssiges Auge.
    »Dieses Mädchen, das sich umgebracht hat«, begann Georgia. »Das Mädchen, um das sich hier alles dreht …«
    »Anna McDermott.« Jetzt ihr richtiger Name.
    »Anna«,

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