Blind
auf und lehnte sich an das Kopfteil.
»Drei Wochen lang, ungefähr.«
»Hat sie dich geliebt?«
Er nickte.
»Hat sie dir Briefe geschrieben? Nachdem du sie rausgeschmissen hast?«
»Ja.«
»Wütende Briefe?«
Er antwortete nicht sofort, sondern dachte erst darüber nach.
»Hast du auch nur einen einzigen von den Briefen gelesen, du abgestumpfter Wichser?« Da war er wieder, der unverkennbar ländliche Südstaatenakzent. Sie war sauer und hatte sich für einen Augenblick vergessen. Möglicherweise, dachte Jude, hatte sie sich aber gar nicht vergessen, ganz im Gegenteil.
»Ja, ich hab sie gelesen«, sagte er. »Als diese ganzeScheiße anfing, zu Hause in New York, war ich gerade dabei, sie zu suchen.«
Es tat ihm leid, dass Danny sie nicht gefunden hatte. Er hatte Anna geliebt, mit ihr gelebt, jeden Tag mit ihr gesprochen, doch jetzt begriff er, dass er nicht annährend genug von ihr erfahren hatte. Er wusste so wenig von ihrem Leben vor ihm – und nach ihm.
»Was dir auch zustößt, du hast es verdient«, sagte Georgia und drehte sich auf die andere Seite. »Wir beide haben es verdient.«
»Sie waren nicht wütend«, sagte er. »Manchmal waren sie voller Gefühl. Und manchmal konnten sie einem Angst machen, weil so wenig Gefühl in ihnen war. Im letzten, kann ich mich noch erinnern, da hat sie geschrieben, dass es Dinge gibt, über die sie reden will, dass sie diese Dinge nicht länger geheim halten kann. Sie hat geschrieben, dass sie es einfach nicht mehr aushält, immer so müde zu sein. Das hätte damals ein Warnsignal für mich sein müssen. Aber so was hatte sie auch früher schon geschrieben, und da hat sie sich auch nicht… Na ja, egal. Ich will damit nur sagen, dass sie nicht glücklich war. Sie war kein glückliches Mädchen.«
»Aber glaubst du, dass sie dich immer noch geliebt hat? Ich meine, nachdem du ihr den Arschtritt verpasst hast?«
»Ich hab ihr keinen …«, fing er an, hielt aber inne und atmete flach aus. Nicht provozieren lassen, dachte er. »Wahrscheinlich ja.«
Georgia lag mit dem Rücken zu ihm und sagte lange kein Wort. Er betrachtete die Rundung ihrer Schulter. Schließlich sagte sie: »Sie tut mir leid. Ist wirklich nicht rasend lustig.«
»Was?«
»Dich zu lieben. Ich bin mit jeder Menge Typen zusammen gewesen, die mir das Gefühl gegeben haben, dass ich das Letzte bin, aber du bist noch mal was Besonderes. Beiden anderen hab ich gewusst, dass ich ihnen scheißegal bin, aber dir bin ich nicht egal, und trotzdem gibst du mir das Gefühl, als war ich eine verschissene kleine Nutte.« Sie sprach klar, ruhig, ohne ihn anzuschauen.
Er hielt den Atem an und war einen Augenblick lang versucht, ihr zu sagen, dass es ihm leidtue, schreckte dann aber davor zurück. Was Entschuldigungen und unangenehme Erklärungsversuche anging, war er außer Übung. Sie wartete auf eine Antwort und zog sich, als keine kam, die Bettdecke über die Schulter.
Er rutschte wieder in die Waagerechte und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
»Morgen kommen wir doch durch Georgia«, sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. »Da will ich meine Großmutter besuchen.«
»Deine Großmutter?«, sagte Jude, als ob er sich nicht sicher wäre, sie richtig verstanden zu haben.
»Bammy ist mir der liebste Mensch auf der Welt. Beim Bowling hat sie mal die vollen Dreihundert geschafft.« Sie sagte das, als gehörten die zwei Dinge ganz natürlich zusammen. Vielleicht taten sie das ja auch.
»Wir haben ziemlichen Ärger am Hals, ist dir das eigentlich klar?«
»Tja, ist mir auch schon aufgefallen.«
»Hältst du das für eine gute Idee, jetzt mit Umwegen anzufangen?«
»Ich will sie sehen.«
»Wie war's, wenn wir auf dem Rückweg bei ihr vorbeischauen? Dann könnt ihr doch immer noch über die alten Zeiten reden. Ihr könntet sogar ein paar Runden Bowling spielen.«
Georgia ließ sich etwas Zeit mit der Antwort. Schließlich sagte sie: »Ich hab so das Gefühl, als wenn ich sie jetzt besuchen sollte. Das geht mir schon die ganze Zeit im Kopf rum. Und ob wir wieder zurückkommen, ist ja wohl nicht so hundertprozentig sicher, oder?«
Er zupfte sich am Bart und schaute auf ihren Körper, der sich unter der Bettdecke abzeichnete. Der Gedanke, aus welchem Grund auch immer Zeit zu verplempern, gefiel ihm gar nicht. Aber er spürte die Notwendigkeit, dass er ihr irgendetwas anbieten, irgendein Zugeständnis machen musste, damit sie ihn etwas weniger verabscheute. Und wenn Georgia etwas auf dem Herzen hatte,
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