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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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was sie jemandem erzählen wollte, der sie liebte, dann war es sinnvoller, das nicht auf die lange Bank zu schieben. Etwas abzuhaken, das dann erledigt war, erschien ihm ganz vernünftig.
    »Hat sie Limonade im Kühlschrank?«
    »Immer frisch.«
    »Einverstanden«, sagte Jude. »Wir schauen bei ihr vorbei. Aber nicht zu lange, okay? Wenn wir nicht rumtrödeln, schaffen wir es bis morgen um diese Zeit immer noch nach Florida.«
    Einer der Hunde seufzte. Um den Hundefuttergeruch zu vertreiben, hatte Georgia ein Fenster geöffnet, das zum Innenhof des Motels. Jude roch den verrosteten Maschendrahtzaun und einen Hauch Chlor, obwohl kein Wasser im Pool war.
    »Früher hatte ich mal ein Ouija-Brett«, sagte Georgia.
    »Ist schon eine Ewigkeit her. Das muss irgendwo im Haus sein, vielleicht finde ich es.«
    »Ich hab's dir doch schon gesagt. Es gibt keinen Grund, mit Craddock zu reden. Ich weiß, was er will.«
    »Nicht deshalb«, sagte Georgia kurz angebunden.
    »Ich hab nicht vor, mit ihm zu reden.«
    »Was dann?«
    »Wir brauchen es, wenn wir mit Anna reden wollen«, sagte Georgia. »Du sagst, dass sie dich geliebt hat. Vielleicht kann sie uns erzählen, wie wir aus diesem Schlamassel wieder rauskommen. Vielleicht kann sie ihn zurückpfeifen.«
    22
    »Lake Pontchartrain, hm? Ich bin ganz in der Nähe aufgewachsen. Unsere Eltern sind da oft mit uns zum Camping hingefahren. Mein Stiefvater hat geangelt. Hab ihn aber nicht mehr vor Augen, wie er das tut. Bist du früher oft am Lake Pontchartrain angeln gewesen?«
    Immer löcherte sie ihn mit Fragen. Und nie hatte er gewusst, ob sie seinen Antworten zuhörte oder die Zeit, während er sprach, nur dazu nutzte, um sich etwas Neues auszudenken, mit dem sie ihn nerven konnte.
    »Angelst du gern? Magst du rohen Fisch? Sushi? Ich find Sushi eklig, außer wenn ich trinke, dann bin ich in Stimmung dafür. Ekel verdeckt den Reiz. Wie oft bist du in Tokio gewesen? Hab gehört, das Essen ist echt widerlich da – roher Tintenfisch, rohe Qualle. Alles ist roh da. Haben die in Japan das Feuer noch nicht erfunden? Hast du mal eine schlimme Lebensmittelvergiftung gehabt? Klar hast du das. Wo du doch die ganze Zeit auf Tournee warst.
    Was war das schlimmste Mal, wo du gekotzt hast? Hast du mal durch die Nasenlöcher gekotzt? Ehrlich? Das ist am schlimmsten.
    Bist du jetzt oft am Lake Pontchartrain angeln gewesen, oder nicht? Hat dein Vater dich mitgenommen? Ist das nicht der schönste Name überhaupt? Lake Pontchartrain, Lake Pontchartrain, I want to see the rain on Lake Pontchartrain. Weißt du, was das romantischste Geräusch der Welt ist? Regen auf einem stillen See. Ein herrlicher Frühlingsregen. Als Kind konnte ich mich selbst hypnotisieren, ich brauchte mich bloß ans Fensterzu setzen und dem Regen zuzuschauen. Mein Stiefvater hat immer gesagt, ihm wäre noch nie jemand untergekommen, den man so leicht hypnotisieren kann wie mich. Wie warst du als Kind? Wann hast du deinen Namen geändert?
    Was meinst du, soll ich meinen Namen ändern? Du suchst mir einen aus, okay? Du kannst mich nennen, wie du willst.«
    »Tu ich doch schon«, sagte er.
    »Stimmt, tust du schon. Von jetzt an heiße ich Florida. Anna McDermott ist für mich tot. Ein totes Mädchen. Vom Erdboden verschwunden. Hab sie sowieso nie gemocht. Ich möchte lieber Florida sein. Vermisst du Louisiana? Ist das nicht komisch, dass wir nur vier Stunden voneinander entfernt gewohnt haben? Wir hätten uns über den Weg laufen können. Glaubst du, dass wir mal zusammen in einem Raum waren, zur gleichen Zeit, ohne dass wir es gewusst haben? Wahrscheinlich nicht, oder? Weil, du warst ja schon weg aus Louisiana, als ich geboren wurde.«
    War das jetzt ihre liebenswerteste Angewohnheit oder die, die ihn am wütendsten machte? Jude konnte sich nie entscheiden. Vielleicht beides gleichzeitig.
    »Ist eigentlich irgendwann mal Schluss mit den Fragen?«, fragte er sie in der Nacht, in der sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Es war zwei Uhr morgens, und sie verhörte ihn schon seit einer Stunde. »Warst du eins von den Kindern, die ihre Mama mit Fragen wie ›Warum ist der Himmel blau?‹, ›Warum fällt die Erde nicht in die Sonne?‹, ›Was passiert mit uns, wenn wir tot sind?‹ in den Wahnsinn treiben?«
    »Was, glaubst du, passiert mit uns, wenn wir tot sind?«, fragte Anna. »Hast du mal einen Geist gesehen? Mein Stiefvater hat welche gesehen. Er hat mit ihnen geredet. Er war in Vietnam. Er sagt, das ganze Land ist

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