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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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funkelten. In ihrem blassen, erschöpften Gesicht war so etwas wie ungeduldige Spannung erkennbar.
    »Was ist das?«, fragte Jude, und Georgia hielt ihm die Schachtel so hin, dass er die Aufschrift an der Seite lesen konnte.
    OUIJA-BRETT *** PARKER BROS.
    29
    Georgia führte Jude in ihr altes Zimmer, wo sie sich das Handtuch vom Kopf wickelte und über eine Stuhllehne warf.
    Der Raum war klein, befand sich direkt unter den Dachbalken und bot kaum genug Platz für sie beide und die Hunde. Bon hatte sich schon auf dem Doppelbett an der Wand zusammengerollt. Georgia schnalzte mit der Zunge, klopfte aufs Kissen, und Angus sprang auch aufs Bett. Er machte es sich neben seiner Schwester bequem.
    Jude stand mit dem Ouija-Brett in der Hand vor der geschlossenen Tür, drehte sich langsam im Kreis und betrachtete den Ort, wo Georgia den Großteil ihrer Kindheit verbracht hatte. Auf etwas auch nur annähernd so Normales war er nicht gefasst gewesen. Die Tagesdecke war ein handgenähter Quilt mit dem Muster der amerikanischen Flagge. In einer Ecke stand ein Weidenkorb, in dem eine Herde verstaubter Plüscheinhörner in verschiedenen Limonadenfarben zusammengepfercht war.
    An einer der Wände stand ein antiker Frisiertisch aus Walnussholz mit einem Spiegel, den man nach vorn und nach hinten kippen konnte. Fotos, von der Sonne ausgebleicht und vom Alter wellig, steckten im Rahmen des Spiegels. Sie zeigten ein halbwüchsiges, breit grinsendes, schwarzhaariges Mädchen mit einem dünnen, jungenhaften Körper. Auf einem der Bilder trug sie ein Little-League-Baseballtrikot, das ihr eine Nummer zu groß war, und eine Kappe, unter der ihre Ohren hervorstanden.Auf einem anderen Bild stand sie irgendwo an einem Strand, im Hintergrund eine Pier, umringt von Freundinnen, alle sonnenverbrannt, flachbrüstig und etwas unsicher mit ihren Bikinioberteilen.
    Der einzige Hinweis auf die Person, die einmal aus ihr werden würde, fand sich auf ihrem Highschool-Abschlussfoto, Georgia in schwarzer Robe mit dem quadratischen Barett auf dem Kopf. Auf dem Foto stand sie zwischen ihren Eltern: die verwelkte Mutter in einem geblümten Kleid von Wal-Mart, der kartoffelförmige Vater in einem billigen karierten Sportsakko und mit nachlässig über den Schädel gekämmten Haaren. Georgia posierte lächelnd, aber ihr Blick war störrisch, durchtrieben, reizbar. Mit einer Hand hielt sie das Abschlusszeugnis in die Höhe, die andere war zum Death-Metal-Gruß erhoben, gespreizter kleiner Finger und Zeigefinger, schwarz lackierte Nägel, die Teufelsgabel. Und so ging es dahin.
    Im Schreibtisch fand Georgia, wonach sie gesucht hatte: eine Schachtel Streichhölzer. Sie beugte sich zum Fensterbrett hinunter und zündete ein paar dunkle Kerzen an. Hinten auf ihren Shorts stand das Wort TEAM. Nach drei Jahren Tanzen waren ihre Oberschenkel straff und kräftig.
    »Was für ein Team?«, fragte Jude.
    Sie schaute sich mit gerunzelter Stirn um, sah, wohin er schaute, warf selbst einen Blick auf ihr Hinterteil und grinste.
    »Sportgymnastik. Das meiste von meiner Nummer habe ich da gelernt.«
    »Auch wie man Messer wirft?«
    Bei ihren Auftritten hatte sie ein Bühnenmesser benutzt, aber sie konnte auch mit einem echten umgehen. Sie hatte es ihm einmal vorgeführt. Aus sechs Metern Entfernung hatte sie ein Bowie-Messer in einen Baumstamm geschleudert. Mit einem satten Tschunkwar dieKlinge ins Holz gefahren, gefolgt von einem metallisch flatternden Geräusch, dem tiefen, musikalischen Klang von zitterndem Stahl.
    »Nein. Das hab ich von Bammy. Bammy hat einen Wurfarm, der ist Wahnsinn. Bowling, Softball, egal, sie hat einen gemeinen Spin. Sie war noch mit fünfzig Werferin in ihrem Softball-Team. Niemand hat ihre Bälle erwischt. Messerwerfen hat sie von ihrem Vater gelernt, und sie wiederum hat es mir beigebracht.«
    Nachdem sie die Kerzen angezündet hatte, schob sie beide Fenster ein paar Zentimeter nach oben, ließ aber die weißen Rollos geschlossen. Ein Windstoß blähte die Rollos kurz auf, fahles Sonnenlicht, sanfte Wellen gedämpfter Helligkeit wogten ins Zimmer und verblassten wieder. Die Kerzen sorgten kaum für mehr Licht, verströmten aber einen angenehmen Geruch, der sich mit dem von draußen hereinwehenden, kühlen frischen Duft von Gras vermischte.
    Georgia drehte sich um und hockte sich im Schneidersitz auf den Boden. Als Jude sich ihr gegenüber auf den Boden kniete, knackten seine Gelenke.
    Er stellte die Schachtel vor sich ab, öffnete sie und nahm das

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