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Blind

Blind

Titel: Blind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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retten konnten, verschwunden war. »Ich hab ihren Namen gerufen, aber ich konnte nichts machen.«
    »Natürlich konnten Sie das nicht, mein Lieber«, sagte Bammy.
    33
    Jude drehte sich zu Georgia und Bammy um. Georgia stand in der Küchentür, ihre Augen waren ihre eigenen Augen, keine Spur von irgendwelchen Todesflecken. Bammy berührte ihre Enkelin an der Hüfte, schob sie sanft zur Seite und ging zu Jude.
    »Sie kennen also die Geschichte von Ruth? Hat M. B. sie Ihnen erzählt?«
    »Sie hat mir erzählt, dass man Ihre Schwester verschleppt hat, als Sie beide klein waren. Sie hat mir erzählt, dass immer wieder Leute gesehen haben, wie man sie aus Ihrem Garten wegschleppt. Aber es ist ganz was anderes, wenn man es selbst sieht. Ich hab sie singen hören. Ich hab gesehen, wie man sie weggeschleppt hat.«
    Bammy legte ihm ihre Hand auf den Unterarm. »Möchten Sie sich setzen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Wissen Sie, warum sie immer wieder zurückkommt?«, fragte Bammy. »Warum die Leute sie sehen? Das waren die schlimmsten Augenblicke ihres Lebens, da draußen im Garten, während wir alle hier drin waren und zu Mittag gegessen haben. Sie war allein und hatte Angst, und keiner hat gesehen, wie man sie verschleppt hat. Niemand hat gemerkt, dass sie aufgehört hatte zu singen. Das muss das Schrecklichste überhaupt gewesen sein. Daran muss ich immer wieder denken, wenn ich höre, dass irgendwem etwas wirklich Schlimmes zugestoßen ist. Die anderen Menschen müssen wissen, was passiert ist. Es darf nicht sein, dass man einfach wie ein Baumim Wald umfällt und niemand hört den Krach. Kann ich Ihnen wenigstens noch was zu trinken geben?«
    Er nickte. Sie holte den fast leeren Krug Limonade.
    Während Bammy ihm den Rest einschenkte, sagte sie: »Ich habe immer geglaubt, wenn jemand mit ihr sprechen könnte, dann würde das eine große Last von ihren Schultern nehmen. Wenn jemand ihr das Gefühl geben könnte, in diesen letzten Minuten nicht so allein zu sein, dann wäre das eine große Befreiung für sie.« Bammy neigte den Kopf zur Seite – eine merkwürdige, fragende Geste, die Jude bei Georgia schon Millionen Mal gesehen hatte. »Möglich, dass Sie ihr einen großen Dienst erwiesen haben und es gar nicht wissen. Nur dadurch, dass Sie ihren Namen gerufen haben.«
    »Und? Man hat sie trotzdem weggeschleppt.« Er trank das Glas in einem Zug aus und stellte es ins Spülbecken.
    »Ich habe nie auch nur eine Sekunde daran geglaubt, dass irgendwer etwas daran ändern könnte, was ihr zugestoßen ist. Das ist vorbei. Vergangenheit. Jude, bleiben Sie heute Nacht hier.«
    Der letzte Satz hatte so gar nichts mit dem zu tun, was sie vorher gesagt hatte, dass Jude ein paar Sekunden brauchte, bis er begriff, dass sie ihn um etwas gebeten hatte.
    »Geht nicht«, sagte Jude.
    »Warum?«
    Weil jedem, der ihnen Hilfe anbot, ebenfalls der Tod drohte, und wer weiß, wie sehr sie Bammys Leben allein schon dadurch gefährdet hatten, dass sie nur für ein paar Stunden bei ihr vorbeigeschaut hatten. Weil er und Georgia schon tot waren, und die Toten ziehen die Lebenden nach unten. »Weil es nicht sicher wäre«, sagte Jude schließlich. Das entsprach zumindest der Wahrheit.
    Bammy runzelte nachdenklich die Stirn. Er sah, dasssie nach den passenden Worten suchte, um seinen Panzer zu knacken, damit er ihr erzählte, was eigentlich gespielt wurde.
    Während sie noch nachdachte, betrat langsam, fast auf Zehenspitzen, als fürchtete sie sich davor, das geringste Geräusch zu machen, Georgia die Küche. Bon saß auf ihren Hinterbeinen und schaute mit idiotisch verängstigtem Blick zu ihr hoch.
    »Nicht jeder Geist ist wie deine Schwester, Bammy«, sagte Georgia. »Manche sind wirklich übel. Wir haben jede Menge Ärger mit toten Menschen. Frag jetzt bitte nicht weiter nach. Du würdest bloß glauben, dass wir völlig durchgeknallt sind.«
    »Gib mir 'ne Chance. Vielleicht kann ich euch helfen.«
    »Mrs Fordham«, sagte Jude. »Es war nett von Ihnen, dass wir kurz reinschauen durften. Und vielen Dank für das Abendessen.«
    Georgia stand jetzt neben Bammy und zupfte sie am Ärmel. Als Bammy sich halb zu ihr umdrehte, legte Georgia ihr die blassen, dünnen Arme um die Schultern und drückte sie fest an sich. »Du bist eine wunderbare Frau, ich liebe dich.«
    Bammy, die immer noch Jude anschaute, sagte: »Wenn ich irgendwas für euch …«
    »Danke, aber Sie können nichts für uns tun«, sagte Jude. »Es ist wie mit Ihrer Schwester. Sie können so

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