Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
»Ich habe dich gewarnt, Anton.« Hastig zerriss er den Ausdruck in winzige Schnipsel.
Schwarz schaute dem ehemaligen Kollegen dabei zu. War Kolbinger wirklich besorgt um ihn oder verfolgte er mit seinem dramatischen Auftritt ein ganz anderes Ziel?
»Wie weit seid ihr eigentlich in der Gollierstraße?«
»Wir haben alle Hausbewohner vernommen.«
»Auch die Frau Celik?«
Kolbinger nickte.
»Hat sie von ihrer Beobachtung erzählt?«
»Hat sie. Das Problem ist, jeder Zweite in dem Haus will einen Neonazi gesehen haben. Aber jeder beschreibt ihn anders.«
Kolbingers geringschätziges Lächeln ärgerte Schwarz. Am liebsten hätte er ihm seine Wehrsport-Vergangenheit hingerieben, aber er beherrschte sich. Es wäre ein Fehler gewesen, diesen Trumpf so früh auszuspielen.
41.
»Wie geht’s im Elfenbeinturm?«, rief Schwarz zum Dach des ehemaligen Fabrikgebäudes hinauf.
»Wer ständig im braunen Sumpf wühlt, braucht auch mal Abstand«, antwortete Heiner von oben.
»Kommst du trotzdem runter?«
Heiner schlug einen Spaziergang durch den Pasinger Stadtpark vor. Wie Schwarz war er ein begeisterter Geher und überzeugt davon, dass das Denken erst durch körperliche Betätigung richtig in Gang komme. Trotzdem gab es einen erheblichen Unterschied zwischen den beiden. Während der Ermittler die Stadtlandschaft mit ihren starken sozialen und ästhetischen Kontrasten bevorzugte, liebte Heiner die Idylle entlang der Würm mit ihren alten Bäumen, Lichtungen und kleinen Seen.
Schwarz berichtete über seine neuen Erkenntnisse, sein Freund hörte aufmerksam zu. »Gar keine schlechte Arbeit, Toni.«
»Wie schätzt du die Geschichte ein?«
»Die mit dem V-Mann ?«
Schwarz nickte.
»Klingt plausibel. In der rechtsextremistischen Szene gibt es jede Menge Spitzel. Leider hetzen einige von ihnen die Leute noch zusätzlich auf oder vergessen irgendwann, auf welcher Seite sie eigentlich stehen.«
»Und Kolbingers seltsame Reaktion?«
»Schwer zu sagen. Entweder ist er wirklich besorgt um dich oder deine Ermittlungen machen ihn nervös.«
»So weit war ich auch schon.«
»Du hast doch so einen guten Riecher.«
»Der hat mich bei Kolbinger schon mal im Stich gelassen.«
Er blieb stehen, aber nicht, wie Heiner dachte, um die Schönheit einer hundertjährigen Eiche zu bewundern. »Wenn die eine Handgranate haben, was könnten sie damit vorhaben?«
»Bin ich Hellseher?«
»Du kennst diese Leute wie kaum ein anderer.«
»Eben. Ich weiß, wie unberechenbar sie sind. Schau dir die Geschichte des Rechtsextremismus in Deutschland mal an. Da wurden wahllos U S-Bürger angegriffen, Sammellager für Flüchtlinge, K Z-Gedenkstätten , Asylantenheime, Gebetsräume, historische Ausstellungen, Linke, Rabbiner, Punks und in München sogar Oktoberfestbesucher.«
»Aber dahinter muss doch irgendeine Logik stehen?«
»Klar begründen die ihren Terror immer ideologisch, aber von außen betrachtet ist das oft völlig irrational. Die meisten von denen sind nicht die Hellsten, das darfst du nicht vergessen.«
»Das macht sie nicht weniger gefährlich.«
»Stimmt. Im Grunde ist jede Institution, die ihnen nicht in den Kram passt, und jeder Mensch, der anders denkt oder irgendwie fremd ist, ein potentielles Anschlagsziel für sie.«
Schwarz seufzte resigniert. Eine alte Frau mit Gehwagen ließ ihren Riesenschnauzer von der Leine. Er lief zu einem Sandkasten für Kinder, machte einen grotesken Buckel und kackte hinein.
»Schön ist es hier«, sagte Schwarz.
»Du warst doch bei der Kripo, Toni. Was tust du, wenn einer aus dem Knast kommt, den du für hochgefährlich hältst? Du hast keine Ahnung, was er vorhat, aber …«
»Moment. Heiner, das ist eine Idee!«
Zehn Minuten später waren sie am Westkreuz. Schwarz parkte gegenüber dem Eingang eines Hochhauses und zeigte auf ein Fenster im sechsten Stock. »Siehst du die Wohnung mit den hellblauen Vorhängen?«
»Da wohnt sie?«
»Linda Heintl wird garantiert informiert, wenn Burger rauskommt.«
Heiner grinste. »Und holt ihren Freund vielleicht sogar ab.«
»Man müsste sie observieren«, sagte Schwarz, »wenigstens tagsüber. Aber ich habe keine Leute.«
»Lass mich mal meine Mädchen anrufen.«
Schwarz schaute ihn fragend an.
»Ich habe da ein paar Schülerinnen an der Hand, die sehr hilfsbereit sind, wenn es darum geht, Neonazis auffliegen zu lassen.«
»Und die haben das drauf?«
»Hast du einen besseren Vorschlag?«
Schwarz schüttelte den Kopf.
»Sie fallen
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