Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
und versank in Gedanken.
»Was ist los?«
»Sie kann oder will nicht mehr reden.«
Heiner nickte. »Ich hab gehört, dass Leute, die plötzlich verstummt sind, manchmal nur einen starken Impuls brauchen. Man versucht es sogar mit Elektroschocks.«
»Super Idee nach einem Schlaganfall.«
Heiner überlegte. »Seid Ihr nicht Schlesier?«
»Egerländer«, sagte Schwarz automatisch und fragte sich im nächsten Moment, ob das noch richtig war. Karlsbad lag ohne jeden Zweifel im Egerland. Aber war eine Jüdin aus Karlsbad
auch
eine Egerländerin? Eine Jüdin in der Gmoi, wo alle katholisch waren, das passte irgendwie überhaupt nicht. Trotzdem war seine Mutter nie negativ aufgefallen. Bei dem Gedanken, wie sie alle an der Nase herumgeführt hatte, musste Schwarz zum ersten Mal schmunzeln.
»Lies ihr doch beim nächsten Besuch was aus der alten Heimat vor. Da gibt es sicher schöne Gedichte.«
»Hm.«
»Was macht sie denn jetzt? Geh runter, Toni!«
Sie fuhren an dem Audi vorbei, der am Straßenrand angehalten hatte. Schwarz war gerade noch rechtzeitig nach unten gerutscht.
»Sie steigt aus. Sie geht vom Wagen weg«, sagte Heiner, der den Rückspiegel nicht aus den Augen ließ. – »Sie pinkelt.«Er fuhr ein Stück weiter und bog nach der nächsten Kurve in einen Feldweg ein. Hinter einem Heuschober stellte er den Motor ab. Von hier hatten sie einen guten Blick auf die etwas tiefer gelegene Straße.
Sie warteten.
Um zehn Uhr stellte Schwarz das Radio an.
Entsetzen über Parteigründung. Die Gründung der neuen Partei
Die Rechten
durch das ehemalige CS U-Mitglied Jörg von Medingen stößt allgemein auf Ablehnung und Empörung. Wir brauchen keine Rechtsextremen im Landtag, hieß es aus den Reihen der Regierungspartei. Ein SP D-Sprecher regte ein überparteiliches Bündnis gegen Nationalismus und Rassismus an. Protest kam auch von den Gewerkschaften, dem evangelischen Landesbischof und Vertretern der Jüdischen Gemeinde. Die deutsche Bischofskonferenz verwahrte sich dagegen, dass von Medingen sich als bekennender Ausländerfeind auf seine katholische Erziehung beruft. Eine Blitzumfrage unter 500 Hörern des
Bayerischen Rundfunks
ergab, dass die neue Partei bei der Landtagswahl mit fünf bis acht Prozent der Stimmen rechnen könne. Begründet wird dies einerseits mit der Enttäuschung über die Politik der etablierten Parteien, andererseits mit dem Wunsch nach einer starken, ordnenden Kraft. Von den Rechten werde vor allem erwartet, dass sie den massenhaften Zuzug von Ausländern nach Deutschland stoppten. Von Medingen selbst war für eine weitere Stellungnahme nicht zu erreichen. Aus seinem Büro verlautet, sein Platz sei jetzt bei den Menschen auf der Straße, über deren Nöte und Ängste er sich ein genaues Bild verschaffen wolle. Außerdem hätten der Parteigründer und seine Anhänger bereits damit begonnen, die nötigen Unterschriften für die Teilnahme an den nächsten Wahlen zu sammeln. Brüssel …
Heiner stellte das Radio ab.
»Wie viele Unterschriften braucht er dazu?«, sagte Schwarz.
»Bei den letzten Landtagswahlen waren es circa 8000. Ohne flächendeckende Mitgliederstruktur kriegt man die kaum zusammen.«
»Du meinst, von Medingen könnte schon daran scheitern?«
»Wenn alles mit rechten Dingen zugeht.«
Schwarz musste schmunzeln.
Heiner korrigierte sich. »Wenn nichts passiert, was ihm in die Hände spielt.«
»Zum Beispiel?«
»Was weiß ich: Unschuldiges blondes Mädchen wird von Türkengang vergewaltigt.«
Beim Stichwort
blond
fiel Schwarz Linda Heintl ein. »Was macht die eigentlich so lange?«
Heiner ließ den Wagen ein paar Meter Richtung Straße rollen. »Die dreht um. Was ist denn jetzt los? Fährt die wieder nach Hause?« Er wollte sich sofort an die Verfolgung machen, aber Schwarz hielt ihn zurück.
Er ließ sich über die Auskunft mit dem Gefängnis verbinden. »Schwarz, mein Name. Ich möchte mit dem Anstaltsleiter sprechen. – Ja, ich bin ihm bekannt.«
Es dauerte ziemlich lange, bis Bause an den Apparat kam. »Sie sind leider zu spät dran. Tim Burger ist vor einer Stunde entlassen worden.«
Schwarz legte auf und fluchte. »Wir haben uns verarschen lassen, Heiner.«
58.
Mitten in der Aubinger Lohe gab es einen fast unzugänglichen Abbruch. Früher war hier eine große Kiesgrube gewesen, seit ihrer Schließung war das steile Gelände mit Weißdornsträuchern und anderem dichtem Gebüsch zugewachsen. Die Geschichte der Kiesgrube reichte bis in die frühen
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