Blinde Goettin
den Arsch abfroren. In der Hütte war es schön warm, und er fühlte sich von seiner Beschäftigung angeregt und mitgerissen. Vor ihm stand ein altmodischer Wecker, dem das Glas fehlte. Mit einigem Gefummel konnte er am Stundenzeiger ein Holzstöckchen befestigen. Er schloß das Faxgerät an, legte ein Blatt ein und machte einen Versuch. Er stellte den Zeiger auf kurz vor drei, tippte seine Büronummer ein und starrte den Wecker an. Eine Viertelstunde verging, und nichts passierte. Nach einigen Minuten begann er sich Sorgen zu machen, sein schönes Projekt könne in den Teich gehen. Aber dann, als der Zeiger mit einem kleinen Sprung die 3 erreichte, klappte alles bestens. Das Holzstöckchen am Zeiger berührte sachte den elektronischen Startknopf. Das reichte. Die Maschine gehorchte, zog das Blatt ein und sandte die Nachricht aus.
Aufgemuntert durch diesen Erfolg machte er eine Runde durchs Haus und brachte die kleinen Thermostatuhren an, die er mitgebracht hatte. Sie sollten Strom sparen helfen. Sie schalteten die Paneelöfen um Mitternacht aus und um sechs Uhr wieder ein, so daß das Haus warm war, wenn seine Bewohner aufstanden.
Er brauchte nicht lange dazu, er kannte sich mit diesen kleinen Apparaten aus. Das Schwierigste stand ihm noch bevor. Etwas mußte während seiner Abwesenheit für Bewegung sorgen, es reichte nicht, daß Lampen ein- und ausgeschaltet wurden. Er hatte sich alles genau überlegt, aber er hatte es noch nicht ausprobiert. Schwer zu sagen, ob es wirklich machbar war. Im Schutze der zugezogenen Vorhänge spannte er drei dünne Bindfäden durch das Zimmer. Alle drei wurden an der Klinke der Küchentür befestigt, die anderen Enden band er an verschiedenen Stellen auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers fest. Danach hängte er ein Küchenhandtuch, eine alte Badehose und eine Serviette über die Bindfäden. Er brauchte ein Weilchen, um die Kerzen richtig aufzustellen. Sie mußten so nahe an den Bindfäden stehen, daß diese Feuer fingen, wenn die Kerzen weit genug heruntergebrannt waren. Er brach die Kerzen in unterschiedlicher Höhe ab und befestigte sie mit flüssigem Wachs in einer Porzellanschüssel. Die Kerze bei dem Bindfaden mit der Serviette war die kürzeste, nur wenige Millimeter höher als der straffe Faden. Gespannt wartete er ab.
Es funktionierte. Nach wenigen Minuten war die Kerze so weit heruntergebrannt, daß die Flamme am Bindfaden herumzüngelte. Der Faden riß, die Serviette fiel zu Boden und zeichnete dabei Schatten an die Vorhänge des Fensters zur Straße. Perfekt.
Er ersetzte den zertrennten durch einen neuen Bindfaden und holte eine längere Kerze. Dann stellte er den Stundenzeiger des Weckers auf kurz vor halb eins. In ungefähr zwei Stunden würde Jørgen Ulf Lavik einem Anwalt in Tønsberg ein Fax schicken. Es ging um einen dringenden Fall, der leider durch Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entzogen, ins Stocken geraten war. Er bedauerte und hoffte, daß diese Verspätung keine allzu großen Probleme mit sich gebracht habe.
Jetzt zog er sich an. Der Tarnanzug war für die Jagd bestimmt. Das paßte. Vorsichtig zündete er die Kerzen an und überprüfte noch einmal, ob sie wirklich fest standen. Danach ging er in den Keller und stieg durch das Kellerfenster auf der Rückseite des Hauses.
Unten am Strand blieb er stehen und wartete einen Moment. Er preßte sich an die Felswand und war sich ziemlich sicher, daß der Tarnanzug ihn unsichtbar machte. Als er wieder zu Atem gekommen war, schlich er sich an die Stelle, wo er vor vielen Jahren ein Loch in den Zaun geschnitten hatte, um leichter zu den Nachbarn gelangen zu können, wo ein Junge in seinem Alter zu Gast gewesen war.
Er robbte zur Straße hinauf. Sie behielten bestimmt die ganze Gegend im Auge. Im Wäldchen blieb er liegen und horchte. Nichts. Aber sie mußten dasein. Langsam kroch er parallel zur Straße weiter, fünf Meter von ihr entfernt und geschützt durch die Bäume. Da war es. Das große Betonrohr, das einen kleinen Bach vom Wald auf die andere Straßenseite und zum Meer leitete, ohne daß er überfahren wurde. Er war zahllose Male durch dieses Rohr gekrochen, aber das war viele Kilos und zwanzig Zentimeter her. Dennoch hatte er sich nicht verrechnet, als er davon ausgegangen war, daß er noch immer hindurchpaßte. Er wurde zwar etwas naß, aber der Bach war winterlich armselig, wahrscheinlich war der kleine Waldsee in der Nähe zugefroren. Das Rohr endete drei Meter hinter der anderen
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