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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Straßenseite; man hatte Platz für eine Straßenerweiterung gelassen, die schon lange versprochen, aber nie gekommen war. Er streckte den Kopf aus dem Rohr und blieb einige Minuten liegen, um zu horchen. Nichts. Er atmete schwer und merkte, wie die Tage im Gefängnis an seinen Kräften gezehrt hatten. Ein Großteil des Kraftverlustes wurde jedoch durch eine gehörige Dosis Adrenalin ausgeglichen; ohne ein Geräusch zu machen, lief er los und verschwand im Gestrüpp. Er brauchte nicht weit zu laufen, nach sechs oder sieben Minuten hatte er es geschafft. Er sah auf die Uhr. Halb acht. Perfekt. Das Holz knackte leise, als er die Tür des kleinen Schuppens öffnete, aber die Polizisten waren zu weit weg, um das zu registrieren. Er schlüpfte in den Schuppen, als ein Auto in zwanzig Metern Entfernung auf der Straße vorbeifuhr. Gleich danach kam noch eins. Inzwischen saß er schon in dem dunkelgrünen Lada und konnte sich davon überzeugen, daß die Batterie auch nach zwei Monaten Pause noch Kraft für einen hustenden Start hatte. Obwohl der Onkel restlos weggetreten war und ihn kaum wiedererkannte, wenn er ihn im Pflegeheim besuchte, zeigte er eine Art Freude, wenn Jørgen ab und zu in dem kleinen Lada einen Ausflug mit ihm machte. Der Neffe hatte den Wagen in Schuß gehalten, als Geste dem Onkel gegenüber. Jetzt war dieser Wagen ein Geschenk, das er sich selbst gemacht hatte. Er ließ den Motor zweimal aufdröhnen und rollte aus der Garage. Dann fuhr er nach Vestfold.
     
    Es war hundekalt. Der Bewacher schlang die Arme um sich und versuchte gleichzeitig, lautlos und unsichtbar zu sein. Das war schwer. Er mußte die Handschuhe ausziehen, um das Fernglas zu benutzen. Deshalb machte er das nur selten. Er fluchte und beneidete diesen Scheißanwalt, der gemütlich im Warmen saß, in einem Haus, das man unmöglich vom Auto aus überwachen konnte. Gerade war das Licht in dem einen Zimmer im ersten Stock ausgegangen, aber der Typ konnte doch kaum so früh ins Bett gehen wollen. Es war erst acht Uhr. Verdammt, noch vier Stunden bis zur Wachablösung. Eiskalter Wind traf sein Handgelenk, als er auf die Armbanduhr schaute, und rasch packte er es wieder ein.
    Er konnte ja mal versuchen, das Fernglas mit Handschuhen zu halten. Viel gab es nicht zu sehen. Natürlich hatte der Kerl alle Vorhänge zugezogen, und im Grunde verstand der Bewacher das. Der Anwalt konnte unmöglich so blöd sein, nicht zu wissen, daß sie hier standen. So gesehen, war es reichlich schwachsinnig, daß sie sich solche Mühe gaben, unsichtbar zu bleiben. Er seufzte. Was für ein öder Job. Anwalt Lavik würde sich sicher ein paar ruhige Tage machen, schließlich hatte er eine Tüte mit Lebensmitteln nach der anderen, einen Computer und ein Faxgerät ins Haus geschleppt.
    Plötzlich wurde er aufmerksam. Rasch zwinkerte er, um sich von ein paar Tränen zu befreien, die der kalte Wind herausgelockt hatte. Dann riß er sich die Handschuhe von den Fingern, ließ sie auf den Boden fallen und stellte das Fernglas besser ein. Was in aller Welt warf diese tanzenden Schatten? Hatte er im Kamin ein Feuer gemacht? Der Polizist ließ das Fernglas kurz sinken und blickte zum Schornstein, der sich schwarz vor dem dunkelgrauen Himmel abzeichnete. Nein, kein Rauch. Aber was war das? Wieder griff er zum Fernglas, und jetzt sah er es deutlich. Irgend etwas brannte. Und es brannte heftig. Plötzlich standen die Vorhänge in Flammen. Er ließ das Fernglas fallen und rannte auf das Haus zu.
    »Das Haus brennt!« brüllte er in sein Walkie-talkie. »Das beschissene Haus brennt!«
    Das Walkie-talkie war überflüssig, sie hörten ihn alle, und zwei von den anderen kamen angestürzt. Der erste raste zur Haustür, registrierte blitzschnell, daß gleich dahinter vorschriftsmäßig ein Feuerlöscher stand, und stürmte ins Wohnzimmer. Rauch und Hitze brannten sofort in seinen Augen, aber er konnte die Brandquelle doch noch entdecken. Den Schaumstrahl wie ein wütendes Schwert vor sich, kämpfte er sich durch das Zimmer. Die brennenden Vorhänge schleuderten ihre Glut ins Zimmer, und ein Stück landete auf seiner Schulter. Seine Jacke fing Feuer. Er erstickte die Flamme mit den Händen und verbrannte sich dabei schlimm die Handfläche. Aber er gab nicht auf. Inzwischen waren auch die beiden anderen da. Einer riß eine Wolldecke vom Sofa, der andere zerrte respektlos einen prachtvollen Wandbehang herunter. Nach zwei Minuten waren die Löscharbeiten beendet. Fast die gesamte

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