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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Konzentrationsfähigkeit kehrte aus ihrem langen Urlaub zurück.
    Am besten war es, ihn zu erledigen, ehe er Karen Borg in den zweifelhaften Himmel der Anwälte schicken konnte. Der Mord an einer schönen, jungen und in diesem Zusammenhang unschuldigen Anwältin würde zuviel Lärm verursachen. Ein des Rauschgifthandels verdächtigter, verzweifelter Anwalt würde natürlich auch nicht ohne Aufsehen sterben, aber dennoch … Ein Mord war besser als zwei. Nur: wie?
    Jørgen Lavik hatte von Ula gesprochen. Von einer Hütte. Das mußte bedeuten, daß er dorthin wollte. Wie er den Schwanz von Bewachern abschütteln wollte, der zwangsläufig an ihm klebte, war dem Alten unklar. Aber das war Laviks Problem. Sein Problem war es, Lavik zu finden, ihn zu finden, ohne von diesen Bewachern gesehen zu werden, und zwar am besten, ehe Lavik Karen Borg gefunden hatte. Ein Alibi brauchte er nicht. Die Polizei interessierte sich jetzt nicht für ihn und würde das auch dann nicht tun. Wenn alles gutging.
    Er würde weniger als eine Stunde brauchen, um die genaue Lage von Karen Borgs Hütte herauszufinden. Er konnte in ihrem Büro oder vielleicht beim zuständigen Landrichter anrufen. Die konnten im Grundbuch nachsehen. Aber das war zu riskant. Einige Minuten später hatte er sich entschieden. Soviel er wußte, gab es nur eine Straße nach Ula, eine kleine Abzweigung von der Küstenstraße zwischen Sandefjord und Larvik. Da mußte er einfach warten.
    Erleichtert, weil er einen Entschluß gefaßt hatte, machte er sich an die dringlichste Arbeit. Seine Hände waren ruhig, und sein Herz hatte sich stabilisiert. Vielleicht brauchte er doch keine neuen Medikamente.
     
    Als Hütte konnte das kaum noch bezeichnet werden. Ein solides Holzhaus aus den dreißiger Jahren, vollständig renoviert; auch im dunklen Dezember konnte man die Idylle erahnen, die das rotangestrichene Haus umgab. Es war Wind und Wetter ausgesetzt, und obwohl auf der Auffahrt ein wenig Schnee lag, waren die Felskuppen hinter dem Haus vom ewigen Seewind saubergefegt. Eine Tanne schwankte halsstarrig zwei Meter von der westlichen Hauswand. Der Wind hatte den Stamm schiefgeweht, aber er hatte ihn nicht kleingekriegt. Der Baum neigte sich landeinwärts, als sehne er sich nach der Verwandtschaft im Binnenland und könne sich doch nicht losreißen. Zwischen den Schneeflecken auf der windgeschützten Seite des Hauses ahnte man die Umrisse von sommerlichen Blumenbeeten. Alles war gepflegt. Das Anwesen gehörte nicht Jørgen Lavik, sondern seinem senilen und kinderlosen alten Onkel. Jørgen war, solange der Onkel überhaupt noch etwas empfunden hatte, sein Lieblingsneffe gewesen. Treu war der Junge jeden Sommer hier aufgetaucht, sie hatten zusammen geangelt, das Boot geteert und Speck und Bohnen gegessen. Jørgen war das Kind geworden, das der Alte nie gehabt hatte, und das schöne Sommerhaus würde dem Neffen zufallen, wenn Alzheimer in wahrscheinlich nicht allzu ferner Zukunft ihrem einzigen Bezwinger, dem Tod, erlag.
    Jørgen Ulf Lavik hatte einiges Geld in das Haus gesteckt. Der Onkel war nicht arm und hatte den Großteil der Wartung selbst bezahlt. Aber Jørgen hatte das Badezimmer mit dem Whirlpool, eine kleine Sauna und das Telefon anlegen lassen. Außerdem hatte er seinem Onkel ein kleines, aber feines Boot zum siebzigsten Geburtstag geschenkt, in dem sicheren Wissen, daß es im Grunde ihm gehörte.
    Auf seiner Fahrt hierher, an den Rand des Hurumlandes, hatte er seine Verfolger nicht ein einziges Mal zu sehen bekommen. Zwar waren die ganze Zeit Wagen hinter ihm gewesen, aber keiner hatte verdächtig lange an ihm geklebt. Trotzdem, er wußte, daß sie da waren, und er freute sich darüber. Er ließ sich viel Zeit beim Parken und demonstrierte seinen Wunsch nach längerem Aufenthalt, indem er sein Gepäck in mehreren Touren ins Haus brachte. Langsam ging er durch die Zimmer, knipste die Lampen an und entlastete die Elektroanlage dann, indem er den Ölofen im Wohnzimmer anzündete.
    Nach dem Essen machte er einen kurzen Spaziergang. Er wanderte durch das vertraute Gelände, aber auch jetzt sah er nichts Verdächtiges. Einen Moment lang war er unruhig. Waren sie doch nicht hier? Hatten sie ihn aufgegeben? Das konnten sie doch nicht machen! Sein Herz schlug schneller. Nein, sie mußten irgendwo in der Nähe sein. Das mußten sie einfach. Er beruhigte sich. Vielleicht waren sie einfach nur extrem tüchtig. Wahrscheinlich.
    Er mußte noch einiges vorbereiten. Und das eilte. Er

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