Blinde Goettin
nach Lavendel und alter Frau duftete. Er war fast gerührt. Nach einigen Stunden, die er den dringendsten Fällen gewidmet hatte, sagte er, er wolle den Rest der Woche in seiner Hütte verbringen. Er sei telefonisch zu erreichen und werde einen Stapel Unterlagen, ein tragbares Telefaxgerät und einen Computer mitnehmen. Vielleicht werde er am Freitag hereinschauen, er habe ja Meldepflicht.
»Du mußt dich also um den Laden kümmern, Caroline, das hast du ja bisher sehr gut gemacht«, sagte er aufmunternd.
Ihr Mund öffnete sich wieder zu einem grauen Lächeln, und die Freude über das Lob malte kleine rote Sonnen auf ihre Wangen. Kokett knickste sie, nahm sich aber zusammen, ehe der Knicks zu tief ausfiel. Ja, sie werde sich um den Laden kümmern, und er solle sich gut erholen. Das habe er verdient.
Der Ansicht war er auch. Ehe er aber ging, besuchte er noch die Toilette und griff zum Mobiltelefon, das er aus dem Postfach des Kollegen gefischt hatte. Die Nummer wußte er auswendig.
»Ich bin wieder draußen. Mach dir keine Sorgen.« Das Rauschen des defekten Spülkastens übertönte sein Geflüster.
»Ruf mich nicht an, und jetzt schon gar nicht«, fauchte sein Gesprächspartner, legte aber nicht auf.
»Es ist alles in Ordnung. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, wiederholte Lavik, aber das half nichts.
»Du hast gut reden!«
»Karen Borg ist in ihrer Hütte in Ula. Da bleibt sie nicht lange. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Nur sie kann mich hochgehen lassen, nur ich kann dich hochgehen lassen. Wenn mir nichts passiert, passiert auch dir nichts.«
Die Proteste des Alten drangen nicht zu ihm durch, die Verbindung war bereits unterbrochen. Jørgen Lavik pißte, wusch sich die Hände und ging hinaus zu seinen unsichtbaren Bewachern.
Er würde bald etwas für sein Herz tun müssen. Die Medikamente, die er bekommen hatte, wirkten nicht mehr. Nicht mehr sehr gut jedenfalls. Zweimal war er wieder kurz vor einem solchen Todesschlag gewesen, wie ihn einer so plötzlich und lebensgefährlich vor weniger als drei Jahren zu Boden geworfen hatte. Das regelmäßige Training und die magere Kost hatten ihm bisher sicher geholfen, aber die jetzige Situation und die letzten Wochen ließen sich nicht allein mit Möhren und Joggen durchstehen.
Sie waren ihm auf der Spur gewesen. Irgendwie hatte er darauf gewartet, seit der Schneeball ins Rollen gekommen war. Obwohl die Zeitungsberichte über einen mutmaßlichen Hintermann sehr vage gewesen waren und sicher auf viele hundert Menschen gepaßt hätten, war das Bild für die Jungs in der Platous gate offenbar etwas zu deutlich gewesen. Eines Nachmitttags, er ging von der Arbeit nach Hause, hatten sie plötzlich vor ihm gestanden. Anonym wie ihre Arbeit, zwei gleich aussehende Männer, gleich groß, gleich angezogen. Freundlich, aber energisch hatten sie ihn zum Einsteigen aufgefordert. Die Autofahrt hatte eine halbe Stunde gedauert und vor seiner eigenen Auffahrt geendet. Er hatte alles abgestritten. Sie hatten ihm nicht geglaubt. Aber sie wußten, daß er wußte, daß es in aller Interesse war, wenn ihm nichts passierte. So gesehen, fühlte er sich ein wenig beruhigt. Wenn herauskam, wofür das Geld verwendet worden war, würden sie alle vom Sog mitgerissen werden. Nur er wußte, woher das Geld stammte, aber die anderen hatten es angenommen. Und verwendet. Ohne je zu fragen, ohne je zu untersuchen, ohne je irgend etwas zu überprüfen. Das brachte sie in eine ungeheuer peinliche Lage.
Lavik war das große Problem. Jetzt war der Bursche ausgerastet. Es war ziemlich klar, daß er Anwältin Borg umbringen wollte. Als ob das eine Lösung wäre. Er würde doch sofort der Hauptverdächtige sein. Sofort. Außerdem: Wer wußte denn, wen sie noch informiert hatte, ob sie womöglich schriftliche Aussagen gemacht hatte, die der Polizei noch nicht in die Hände gefallen waren? Karen Borg umzubringen war absolut keine Lösung.
Jørgen Lavik umzubringen dagegen würde fast alle Probleme lösen. Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, da erschien er ihm auch schon als die einzige Möglichkeit. Der geglückte Mord an Hans A. Olsen hatte alle Probleme mit diesem Zweig der Organisation effektiv gelöst. Lavik dagegen hatte sich und dem Alten immer mehr Ärger gemacht. Er mußte gestoppt werden. Dieser Gedanke machte ihm keine Angst, er war vielmehr beruhigend. Sein Puls ging wieder gleichmäßig und ruhig, zum erstenmal seit vielen Tagen. Sein Verstand wirkte klar, und seine
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