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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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stand eine Weile auf der Treppe, reckte sich und klopfte sich den Schnee von den Schuhen, ausgiebig und restlos unnötig. Danach ging er ins Haus, um sich an die Arbeit zu machen.
     
    Das schlimmste war, daß alle so aufmunternd sein wollten. Sie klopften ihm auf die Schulter. »Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts.« Sie lächelten anerkennend und brachten freundliche Solidaritätserklärungen. Sogar die Polizeipräsidentin hatte sich die Mühe gemacht, Polizeiadjutant Sand anzurufen und ihre Zufriedenheit über seine Leistung – trotz des betrüblichen Endes – zu bekunden. Er erwähnte die Möglichkeit einer Schadenersatzklage, aber sie schnaubte nur. Sie glaubte wirklich nicht, daß Lavik das wagen würde, immerhin war er schuldig. Wahrscheinlich genoß er einfach seine Freiheit; er würde das Ganze soweit wie möglich hinter sich lassen wollen. Håkon mußte zugeben, daß es so aussah. Seinen Bewachern zufolge befand Anwalt Lavik sich jetzt in seiner Hütte im Hurumland. Die ganze Solidarität half aber auch nicht besonders. Er fühlte sich, als hätte er unfreiwillig einen vollautomatischen Waschgang mitgemacht, mit Schleudern und allem. Er war durch diese Behandlung geschrumpft. Andere Fälle mit teuflischen Fristen lagen vor ihm auf dem Schreibtisch, aber er war restlos handlungsunfähig und beschloß, bis morgen zu warten.
    Nur Hanne begriff, wie ihm wirklich zumute war. Sie kam nachmittags vorbei, mit zwei Tassen kochendheißem Tee. Er hustete und spuckte, als er gekostet hatte; er hatte Kaffee erwartet.
    »Was machen wir jetzt, Polizeiadjutant Sand?« fragte sie und legte die Beine auf den Tisch. Schöne Beine, registrierte er zum x-tenmal.
    »Fragst du mich, dann frag’ ich dich.« Er nippte wieder am Tee, diesmal etwas vorsichtiger. Eigentlich schmeckte er gut.
    »Wir geben jedenfalls nicht auf. Wir machen den Kerl fertig. Der hat noch nicht den Krieg gewonnen – das war nur ein kleines Scharmützel.«
    Es war unfaßbar, daß sie so optimistisch sein konnte. Und sie schien sogar zu meinen, was sie sagte. Vielleicht machte es einen Unterschied, ob man Polizeibeamtin oder Vertreter der Anklagebehörden war. Für ihn gab es viele Rückzugsmöglichkeiten, er konnte sich jederzeit eine andere Stelle suchen. Zum Beispiel als dritter Sekretär im Fischereiministerium, dachte er mürrisch. Hanne Wilhelmsen dagegen war als Polizistin ausgebildet. Für sie kam nur ein Arbeitgeber in Frage. Die Polizei. Deshalb konnte sie nicht aufgeben.
    »Aber hör mal, Mann«, sagte sie und nahm die Beine vom Tisch. »Wir haben doch noch so viel. Du darfst jetzt nicht den Mut verlieren. In der Niederlage kannst du zeigen, was du wert bist!«
    Banal. Aber vielleicht wahr. Wenn das stimmte, war er eine Niete. Mit dieser Sache wurde er einfach nicht fertig. Er wollte nach Hause. Vielleicht war er wenigstens Manns genug für ein wenig Hausarbeit.
    »Ruf mich zu Hause an, wenn was anliegt«, sagte er und verließ seine fast unberührte Teetasse und seine resignierte Kollegin.
    »You win some, you lose some«, hörte er sie rufen, als er durch den Flur stapfte.
     
    Die Bewacher, sechs an der Zahl, wußten jetzt, daß ihnen ein langer Abend und eine kalte Nacht bevorstanden. Einer von ihnen, ein schmalschultriger, tüchtiger Bursche mit scharfem Blick, hatte die Rückseite des roten Hauses überprüft. Nur drei Meter von der Wand entfernt senkte sich ein steiler Hang zu einer kleinen Bucht mit Sandstrand. Die Bucht war nur zehn bis fünfzehn Meter breit und von Stacheldraht umzäunt, der auf beiden Seiten an den Felsen befestigt war. Nirgends wurde das private Eigentumsrecht so verheerend geltend gemacht wie am Meer. Der Bewacher lächelte vor sich hin. Hinter dem Zaun erhob sich zu beiden Seiten eine steile, fünf oder sechs Meter hohe Felswand. Sicher konnte man dort hochklettern, aber leicht war das bestimmt nicht. Auf jeden Fall würde Lavik in der Nähe des Hauses auf die Straße stoßen. Die Straße trennte die Landzunge vom Festland, wer von hier weg wollte, mußte die Straße überqueren.
    Zwei Bewacher wurden an der kleinen Stichstraße postiert. Einer stand in der Mitte Posten, und damit hatten sie die zweihundert Meter zwischen Straße und Haus im Blick. Lavik konnte hier nicht ungesehen vorbei. Die drei restlichen Bewacher verteilten sich im Gelände, um die Hütte im Auge zu behalten.
     
    In der Hütte saß Lavik und amüsierte sich bei dem Gedanken, daß die Männer da draußen, wie viele es auch sein mochten, sich

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