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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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heran und nahm seine Hand.
    So saßen sie über zehn Minuten lang. Uns kommt es wahrscheinlich beiden vor wie eine Stunde, dachte Karen Borg. Endlich atmete der junge Mann etwas regelmäßiger. Sie ließ seine Hand sinken und schob lautlos ihren Stuhl zurück, als wollte sie den kurzen Moment von Nähe und Vertraulichkeit austilgen.
    »Vielleicht hast du jetzt mehr zu sagen«, ermunterte sie ihn leise und bot ihm noch eine Zigarette an. Er nahm sie mit zitternder Hand, wie ein schlechter Schauspieler. Sie wußte, daß sein Zittern echt war, und gab ihm Feuer.
    »Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll«, stammelte er. »Ich habe einen Mann umgebracht. Aber ich habe auch so viel anderes getan, und ich würde mir ungern Lebenslänglich an den Hals reden. Aber mir ist nicht klar, wie ich das eine erzählen soll, ohne das andere zu verraten.«
    Karen Borg war verwirrt. Sie war daran gewöhnt, Auskünfte mit der größten Diskretion und Vertraulichkeit zu behandeln. Ohne diese Eigenschaft hätte sie kaum einen Mandanten gehabt. Aber bisher hatte sich die Geheimhaltung auf Geld, Industriegeheimnisse und Taktiken im Geschäftsleben bezogen. Ihr war niemals etwas einwandfrei Strafbares anvertraut worden, und sie wußte nicht, was sie verschweigen durfte, ohne selbst mit den Gesetzen in Konflikt zu kommen. Noch ehe sie sich diese Problematik richtig überlegt hatte, tröstete sie den Niederländer.
    »Was du mir erzählst, bleibt unter uns. Ich bin deine Anwältin und stehe unter Schweigepflicht.«
    Er seufzte noch zwei-, dreimal, dann putzte er sich heftig die Nase und erzählte: »Ich war in einer Art Liga. Ich sage eine Art, weil ich ehrlich gesagt nicht viel darüber weiß. Ich weiß von zwei anderen, die mitmachen, aber das sind Leute auf meiner Ebene, wir holen und bringen und verkaufen ab und zu ein bißchen. Meine Kontaktperson hat eine Gebrauchtwagenfirma in Sagene. Aber die Liga ist ziemlich groß. Glaube ich wenigstens. Es war nie ein Problem, das Geld für meine Jobs zu bekommen. Einer wie ich kann oft in die Niederlande fahren. Das erregt keinen Verdacht. Ich habe jedesmal meine Mutter besucht.« Beim Gedanken an seine Mutter heulte er wieder los.
    »Ich habe nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt, weder zu Hause noch hier«, schluchzte er. »Ach verdammt. Wie lange muß ich sitzen?«
    Karen Borg wußte sehr gut, was einem Mörder blühte. Und was einem Rauschgiftkurier. Aber sie sagte nichts, sie zuckte nur leicht mit den Schultern.
    »Ich habe vielleicht zehn, fünfzehn Touren gemacht«, fuhr der Mann fort. »Unglaublich einfache Arbeit eigentlich. Im voraus wird mir ein Treffpunkt in Amsterdam genannt, jedesmal ein neuer. Die Ware ist immer schon verpackt. In Gummi. Ich habe die Päckchen hinuntergeschluckt, ohne wirklich zu wissen, was sie enthalten.« Er unterbrach sich einen Moment und korrigierte sich dann: »Na ja, ich habe es für Heroin gehalten. Im Grunde wußte ich das wohl. Ungefähr hundert Gramm jedesmal. Mehr als zweitausend Verbrauchermengen. Alles ist gut gegangen; ich habe pro Lieferung Zwanzigtausend bekommen. Und alle Ausgaben wurden ersetzt.«
    Seine Stimme klang gepreßt, aber er erklärte alles sehr gut. Er zerpflückte das in Auflösung begriffene Taschentuch und starrte ununterbrochen seine Hände an, als müsse er voller Staunen erkennen, daß just diese vor genau einer Woche auf so brutale Weise einen Menschen umgebracht hatten.
    »Ich glaube, sehr viele machen da mit. Obwohl ich nur von zwei oder drei Leuten weiß. Der Laden ist einfach zu groß. Ein Dussel aus Sagene schafft das nicht allein. Der kommt mir nicht clever genug vor. Aber ich habe nicht gefragt. Ich habe meine Arbeit gemacht, mein Geld bekommen und die Klappe gehalten. Bis vor zehn Tagen.«
    Karen Borg war ganz matt. Sie sah sich in einer Situation gefangen, über die sie keinerlei Kontrolle hatte. Ihr Gehirn registrierte die gelieferte Information, während sie fieberhaft mit der Frage rang, was sie damit anfangen sollte. Sie spürte, wie ihre Wangen rot anliefen und wie der Schweiß aus ihren Achselhöhlen strömte. Sie wußte, daß sie nun etwas über Ludvig Sandersen hören würde, den Mann, den sie am letzten Freitag gefunden hatte; ein Fund, der sie seither nachts heimsuchte und tagsüber quälte. Sie umklammerte die Armlehnen ihres Stuhls.
    »Am letzten Dienstag war ich bei diesem Autoheini«, fuhr Han van der Kerch fort. Er war jetzt ruhiger und hatte endlich die Reste des Taschentuchs in den Papierkorb

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