Blinde Goettin
Notizblocks begnügen. Das brachte nicht viel. Außerdem beschmierte er nun auch seinen feschen Anzug. Er hatte die Ärmel aufgekrempelt, er schien nicht begriffen zu haben, daß aufgekrempelte Ärmel mit »Miami Vice« aus der Mode gekommen waren. Und zwar schon längst. Er hatte das Etikett am rechten Ärmel nicht abgeschnitten, sondern den Stoff so aufgekrempelt, daß das Warenzeichen wie ein kleines Adelsprädikat erstrahlte. Das nützte auch nichts; er kam sich klein vor und rutschte auf seinem Stuhl in Håkon Sands Büro herum.
Er war freiwillig hier erschienen. Sand hatte ihn früh am Morgen angerufen, zu einer Zeit, als das Blauer-Montag-Gefühl nach einem lebhaften Wochenende sich noch nicht gelegt hatte. Der Polizeiadjutant war korrekt, aber auch ziemlich energisch gewesen; er hatte ihn für den nächstmöglichen Termin zu sich bestellt. Es war zehn, und ihm war schlecht.
Sand bot ihm Drops aus einer Holzschale an, und der Journalist nahm dankend an. Er bedauerte das sofort, sein Bonbon war so groß, daß er es unmöglich lutschen konnte, ohne zu schmatzen. Sand selbst hatte sich keins genommen, und Myhreng wußte warum. Es war schwer, mit dem Klumpen im Mund zu reden, und er fand es zu kindisch, darauf herumzubeißen.
»Du arbeitest mit unseren Mordfällen, wie ich höre«, sagte der Adjutant, nicht ohne eine gewisse Arroganz.
»Ja, ich bin Kriminalreporter«, antwortete Myhreng sauer und mit schlecht verhohlenem Stolz auf seine Berufsbezeichnung. In seinem Eifer, selbstsicher zu wirken, wäre ihm fast der Drops aus dem Mund gefallen. Er saugte ihn rasch wieder zurück und verschluckte ihn aus Versehen. Nun durfte er die langsame und quälende Reise des Bonbons in seinen Magen miterleben.
»Was weißt du eigentlich?«
Der junge Journalist wußte nicht so recht, was er tun sollte. Seine sämtlichen Instinkte mahnten zur Vorsicht, während er gleichzeitig den dringenden Wunsch verspürte, mit seinem Wissen zu brillieren.
»Ich glaube, ich weiß dasselbe wie ihr«, erklärte er und glaubte, auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen zu haben. »Und vielleicht noch ein bißchen mehr.«
Håkon Sand seufzte. »Hör mal. Ich weiß, daß du mir nichts von woher und wie sagen wirst. Ich weiß, daß ihr eure angelaufene Ehre darin seht, niemals Quellen zu verraten. Das verlange ich also nicht. Ich biete dir eine Abmachung an.« Ein Funken von Interesse leuchtete in Myhrengs Augen auf, aber der Polizeiadjutant wußte nicht, wie weit das reichte. »Ich kann bestätigen, daß du auf einer Spur bist«, fuhr er fort. »Ich habe erfahren, daß du zwei Morde miteinander in Verbindung bringst. Ich habe registriert, daß du darüber noch nicht geschrieben hast. Das ist gut. Für unsere Ermittlungen wäre es gelinde gesagt schädlich, wenn darüber etwas gedruckt würde. Ich könnte natürlich dafür sorgen, daß dein Chef von uns unter Druck gesetzt wird. Aber vielleicht muß ich das gar nicht.« Der Blonde wirkte immer interessierter. »Ich verspreche dir, daß du als erster erfährst, was wir haben – wenn ich etwas verraten kann. Aber im Gegenzug muß ich mich auf dich verlassen können, wenn ich dir einen Maulkorb verordne. Kann ich das?«
Fredrick Myhreng freute sich über diese Wendung des Gesprächs. »Kommt drauf an«, antwortete er lächelnd. »Erzähl doch noch ein bißchen mehr.«
»Warum bringst du die beiden Morde miteinander in Verbindung?«
»Warum tut ihr das?«
Håkon Sand atmete schwer. Er erhob sich, drehte sich zum Fenster um und blieb so eine halbe Minute lang stehen. Plötzlich fuhr er herum.
»Jetzt versuche ich es im guten«, sagte er laut und hart. »Ich kann dich auch verhören lassen. Vielleicht verpasse ich dir eine Klage, weil du wichtiges Beweismaterial zurückhältst. Ich kann dir vielleicht deine Informationen nicht entreißen, aber ich kann dir die Hölle heißmachen. Muß ich das?«
Seine Worte zeitigten eine gewisse Wirkung. Myhreng rutschte hin und her. Er wollte noch einmal hören, daß er als erster Zugang zu neuen Informationen haben würde. Er hörte es.
»An dem Tag, an dem Sandersen ermordet wurde, war ich im Gamle Christiania einen trinken. Das war so gegen drei Uhr nachmittags. Da saßen Anwalt Olsen und Sandersen. Sie sind mir aufgefallen, weil sie allein waren. Olsen sumpft, ich meine, sumpfte sonst immer mit einer ganzen Bande. Die anderen waren auch da, saßen aber an einem anderen Tisch. Damals habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, aber als
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