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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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oberste Zahlenreihe. »Drei Zahlen pro Gruppe. Seitenzahl, Zeilenzahl und Buchstabenzahl. Wie ihr seht, stehen nur die ersten Zahlen in jeder Gruppe in einem logischen Zusammenhang. Entweder sind sie dieselben wie bei der letzten Gruppe, oder höher: zwei, zwei, sieben, neun, zwölf, dreizehn, sechzehn und so weiter. Die höchste Zahl in Gruppe zwei ist dreiundvierzig, kaum ein Buch hat viel mehr als vierzig Zeilen pro Seite. Wenn man das betreffende Buch hat, kann man das Rätsel sofort lösen.« Er fügte hinzu, daß der Code sicher von Amateuren stamme, Buchcodes seien immer leicht zu erkennen. »Aber es ist unglaublich schwer, sie zu knacken«, sagte er dann. »Wir müssen ja wissen, um welches Buch es geht! Und wenn auch das Buch durch einen Code bezeichnet wird, muß man einiges Glück haben, um das richtige zu finden. Ich war mit dem Zettel in der Stadtbücherei; der Computer hat mir eine Liste von über tausendzweihundert Büchern ausgedruckt, in deren Titel das Wort Flügel vorkommt. Prost Mahlzeit! Aber auch dieses Wort kann ja ein Code sein, und dann kommen wir auch nicht weiter. Ohne das richtige Buch können wir den Code nicht knacken.«
    Er faltete das Papier zusammen und reichte es der niedergeschlagen wirkenden Hanne. Er wollte es nicht behalten, obwohl es eine Kopie war. Die vielen Geheimdienstjahre hatten ihre Spuren hinterlassen.
    »Aber da der Code so banal ist, würde ich nach dem Nächstliegenden suchen. Seht euch in der nächsten Nähe nach dem Buch um. Vielleicht stolpert ihr darüber. Große Anteile guter Polizeiarbeit sind reinem Glück zu verdanken. Viel Glück also!«
    Schweigend blieben die beiden sitzen.
    »Nimm’s nicht so schwer, Håkon«, sagte Hanne schließlich.
    »Immerhin wissen wir, daß wir auf der Spur sind. Anwalt Olsen brauchte seine Protokolle ja wohl kaum zu kodieren. Also muß er versucht haben, etwas anderes zu verbergen.«
    »Aber was?« seufzte Håkon. »Sollen wir noch mal durchgehen, was wir haben?«
    Das brauchte seine Zeit. Aber nach einer Stunde waren sie beide beträchtlich besser gelaunt. Sicher bestand die Möglichkeit, das Buch zu finden. Außerdem wußten sie inzwischen, daß Anwalt Olsen an jenem Tag seinen Mandanten tatsächlich getroffen hatte. Dieses Treffen hatte allerdings nicht in der Kanzlei stattgefunden, und sie fragten sich, warum es in ein so viel besuchtes Lokal wie das Gamle Christiania verlegt worden war.
    »Vielleicht war es ja eine ganz harmlose Besprechung«, sagte Håkon ein wenig düster.
    »You never know«, sagte Hanne und zog ihre Jacke über.
    »Warum redest du so oft englisch?«
    »USA-Freak.« Sie lächelte leicht verlegen. »Ich weiß, daß das eine Unsitte ist.«
    Sie schlürften den Rest Kaffee, und dann trennten sich ihre Wege.
     
    Später an diesem Nachmittag saßen zwei Spaziergänger auf einem umgestürzten Baum im Wald und unterhielten sich. Der ältere hatte sich als Schutz gegen die Feuchtigkeit eine Plastiktüte unter den Hintern geschoben. Der Herbst benahm sich ganz typisch, in der Luft hingen winzige Tropfen Feuchtigkeit, im Grenzland zwischen Regen und Nebel. Sie konnten nicht weit sehen, aber sie waren auch nicht hergekommen, um die Aussicht zu genießen. Einer warf einen Stein in den blanken Waldsee, und beide schwiegen, während die Ringe sich formschön nach den Gesetzen der Physik ausbreiteten, bis der See wieder still dalag.
    »Geht die Sache jetzt hoch?«
    Der Jüngere fragte, ein Mann in den Dreißigern. Seine Stimme klang angestrengt ruhig. Er hatte Angst, das war klar, obwohl er sich alle Mühe gab, entspannt zu wirken.
    »Nein, kein bißchen«, beruhigte der Ältere ihn. »Das System ist wasserdicht aufgebaut. Wir haben einen Ast abgesägt. Schade im Grunde, der war durchaus einträglich. Aber nötig. Es steht zu viel auf dem Spiel.«
    Er warf noch einen Stein, diesmal mit größerer Kraft, als wollte er unterstreichen, was er gerade gesagt hatte.
    »Aber, ehrlich gesagt«, ereiferte sich der Jüngere, »bisher war die Sache auch sicher und ungefährlich, wir sind niemals Risiken eingegangen, und die Polizei hat sich auch nicht um uns gekümmert. Zwei Morde werden ernster genommen als unsere bisherigen Aktivitäten. So geldgeil wie Olsen war, kapiere ich nicht, warum wir ihn nicht ausbezahlen konnten. Verdammt, mir ist ganz schön mulmig!«
    Der Ältere erhob sich und stellte sich vor ihn. Er sah sich in alle Richtungen um, wie um sich zu vergewissern, daß sie allein waren. Der Nebel hatte sich verdichtet,

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