Blinde Goettin
die Morde dann aufeinander folgten wie die Perlen an einer Kette, fiel es mir natürlich wieder ein. Ich habe keine Ahnung, worüber sie gesprochen haben. Aber es war doch ein seltsamer Zufall. Mehr als das weiß ich wirklich nicht. Ich habe so meine Ahnungen, aber ich weiß nichts.«
Schweigen senkte sich über das Zimmer. Sie hörten das Dröhnen des Verkehrs im Akebergvei. Eine Krähe ließ sich auf der Fensterbank nieder und brach in wüste Beschimpfungen aus. Håkon Sand achtete nicht darauf.
»Vielleicht besteht eine Verbindung. Aber das wissen wir nicht. Vorläufig gibt es hier im Haus nur zwei, die in dieser Richtung denken. Hast du mit irgendwem darüber gesprochen?«
Myhreng sagte nein. Er werde es auf jeden Fall für sich behalten. Aber er habe sich schon ein wenig umgehört, erzählte er. Habe hier und da einige Fragen gestellt, keine jedoch, die Verdacht erregen könnten. Alles, was er bisher erfahren habe, sei ihm ohnehin schon bekannt gewesen. Hansa Olsens Verhältnis zum Alkohol, seine Liebe zu seinen Mandanten, seine wenigen Freunde und seine vielen Zechkumpane. Was denn die Polizei unternehme?
»Bisher wenig«, sagte Håkon Sand. »Aber jetzt fangen wir an. Wir beide reden Ende der Woche weiter. Und du wirst es bereuen, wenn du dich nicht an unsere Abmachung hältst. Kein Wort in der Zeitung, und ich rufe dich an, wenn ich Neues weiß. Du kannst jetzt gehen.«
Fredrick Myhreng war das alles recht. Er hatte an diesem Tag gute Arbeit geleistet und lächelte breit, als er das Polizeigebäude verließ. Das Blauer-Montag-Gefühl war wie weggeblasen.
Das große Zimmer war viel zu dunkel. Schwere braune Vorhänge aus Velours mit Troddeln an den Kanten schluckten das spärliche Licht, das überhaupt noch den Weg ins Untergeschoß des alten Mietshauses fand. Alle Möbel waren aus dunklen Holzarten. Mahagoni, wie Hanne Wilhelmsen annahm. Es roch muffig, und alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Sie konnte unmöglich im Laufe einer knappen Woche entstanden sein, was bedeutete, daß Hansa Olsen die Sauberkeit nicht so schrecklich wichtig genommen hatte. Aber es war aufgeräumt. Ein Bücherregal bedeckte die eine Wand, es war dunkelbraun, hatte unten Schrankfächer und an einer Seite einen Barschrank mit Beleuchtung und Bleiglastür. Håkon Sand ging über den dicken Teppich zum Bücherregal. Er hatte das Gefühl, im Teppich zu versinken, und das einzige Geräusch, das seine Schritte verursachten, war ein leises Knirschen des Schuhleders. Im Regal stand keinerlei Belletristik; statt dessen verfügte der Anwalt über eine beeindruckende Sammlung juristischer Fachliteratur. Sand legte den Kopf schräg und las die Buchtitel. Hier standen Bücher, die bei einer eventuellen Auktion mehrere tausend Kronen einbringen würden. Er zog eines davon aus dem Regal, betastete das gute Leder des Einbandes und schnupperte den charakteristischen Geruch, als er vorsichtig darin blätterte. Hanne Wilhelmsen hatte sich auf den riesigen Marmortisch mit Löwenfüßen gesetzt und starrte den Ledersessel an. Über der Nackenlehne lag ein vollständig mit dunklem, geronnenem Blut vollgesogenes Häkeldeckchen. Sie glaubte, einen leichten Eisengeruch wahrnehmen zu können, hielt das aber für Einbildung. Auch der Sitz war blutbefleckt.
»Wonach suchen wir eigentlich?«
Håkons Frage war angemessen, blieb aber unbeantwortet.
»Du bist doch die Ermittlerin, warum hast du mich hierhergeschleift?«
Noch immer erhielt er keine Antwort. Hanne erhob sich, ging zum Fenster und tastete mit den Händen unter der Fensterbank herum.
»Die Techniker haben ja schon alles durchgekämmt«, sagte sie schließlich. »Aber sie haben nach Spuren in einem Mordfall gesucht und waren vielleicht blind für das, worum es uns geht. Ich glaube, daß hier irgendwo irgendwelche Dokumente versteckt sind. Irgendwo in dieser Wohnung muß es etwas geben, das uns verrät, was dieser Bursche getrieben hat – neben seiner Praxis, meine ich. Seine Bankkonten, die, die wir kennen zumindest, haben wir uns schon angesehen. Da gibt’s nichts Verdächtiges.« Sie tastete die Wände ab und fuhr fort: »Wenn unsere ausgesprochen dürre Theorie zutrifft, dann muß der Mann wohlhabend gewesen sein. Er hat sich wohl kaum getraut, in der Kanzlei Papiere aufzubewahren. Da ist doch den ganzen Tag Durchgangsverkehr. Ein absolutes Hin und Her. Wenn er nicht noch ein anderes Versteck hat, müssen die Sachen hier sein.«
Håkon folgte ihrem Beispiel und ließ
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