Blinde Goettin
mit Wucht an der Schläfe. Ihr Kopf explodierte in einem gewaltigen Lichtwirbel, und sie konnte gerade noch registrieren, daß sie heftig blutete, als sie zu Boden ging. Ihr Körper war völlig kraftlos, und deshalb konnte sie sich nicht abstützen. Ihr Kopf wurde noch einmal getroffen, als ihre linke Schläfe auf den Boden prallte, aber Hanne Wilhelmsen merkte das nicht. Sie war schon bewußtlos; zutiefst erstaunt hatte sie noch registrieren können, daß ihr Leben vorüber war, dann war sie in einer Dunkelheit verschwunden, die ihr die Schmerzen ersparte, mit denen die Haut an ihrer Stirn oberhalb ihrer geschlossenen Augen zu einem klaffenden, höhnischen Grinsen zerfetzt wurde.
Sie wurde von einer intensiven Übelkeit geweckt. Sie lag auf dem Bauch, den Kopf auf schmerzhafte Weise verzerrt. Ihr Bedürfnis, sich zu erbrechen, war so groß, daß es für kurze Zeit das Gefühl, ihr Kopf müsse zerspringen, verdrängte. Ihr ganzer Körper tat weh. Mit vorsichtigen Fingern ertastete sie zwei große blutende Wunden, eine auf der Stirn und eine über dem rechten Ohr, und mit schwacher Verblüffung stellte sie fest, daß sie nicht schlimmer weh taten als der glühende intensive Schmerz irgendwo tief in ihrem Kopf. Hanne Wilhelmsen kämpfte einige Minuten lang mit der Übelkeit, dann mußte sie sich geschlagen geben. Wie aus einem Instinkt heraus fand sie Kraft und Geistesgegenwart genug, sich auf die Ellbogen zu stützen wie ein Kind vor dem Fernseher. So konnte sie sich erbrechen, ohne etwas davon zu verschlucken. Das half ein wenig.
Sie wischte sich über die Stirn, aber trotzdem strömte ihr das Blut in ein Auge und erschwerte das Sehen. Sie versuchte aufzustehen. Der blaue Flur drehte sich, und sie mußte das Kunststück in mehreren Etappen vollbringen.
Irgendwann war sie schließlich auf den Beinen. Sie lehnte sich gegen die Wand, und erst jetzt versuchte sie zu verstehen, was passiert war. Sie konnte sich an nichts erinnern. Panik überkam sie. Sie wußte nicht, warum sie hier war, begriff aber, daß sie sich im Polizeigebäude befand. Wo waren die anderen? Sie schwankte in ihr Arbeitszimmer und bespritzte das Telefon mit Blut, als sie ihre eigene Nummer wählte. Sie mußte mehrere Anläufe machen, sie konnte die richtigen Tasten nicht finden. Das Licht vom Fenster quälte sie, traf ihre Augen wie Hammerschläge.
»Cecilie, du mußt mich holen kommen. Ich bin krank.«
Sie ließ den Hörer fallen und verlor wieder das Bewußtsein.
Die Finsternis war angenehm. Ihr Kopf tat noch immer weh, aber wo vorhin blutende Fetzen gewesen waren, ertastete sie jetzt breite, weiche Verbände. Die Wunden spürte sie überhaupt nicht mehr; sie nahm an, daß sie das einer örtlichen Betäubung zu verdanken hatte. Ihr Bett war aus Metall, und nachdem sie die Verbände betastet hatte, entdeckte sie, daß in ihrer einen Hand eine Kanüle steckte, durch die Salzwasserlösung rann. Hanne Wilhelmsen lag im Krankenhaus, und Cecilie saß auf ihrer Bettkante.
»Jetzt hast du sicher ziemliche Schmerzen«, sagte Hannes Lebensgefährtin und nahm ihre kanülenlose Hand. Sie lächelte. »Ich hatte schreckliche Angst, als ich dich gefunden habe«, fügte sie hinzu. »Aber alles ist gutgegangen. Ich habe dich selbst geröntgt, es scheint nichts gebrochen zu sein. Du hast eine kräftige Contumatio oder Gehirnerschütterung, wenn du so willst. Die Wunden haben schlimm ausgesehen, aber jetzt sind sie genäht und werden gut verheilen.«
»Ich kann mich an nichts erinnern, Cecilie«, flüsterte sie.
»Nur eine kleine Amnesie. Gedächtnisverlust«, teilte Cecilie ihr lächelnd mit. »Das ist immer so. Mach dir keine Sorgen, du mußt hier ein paar Tage liegen, dann kannst du dir schön zwei Wochen frei nehmen. Ich pass’ schon auf dich auf.«
Hanne weinte immer noch. Cecilie beugte sich über sie, vorsichtig, vorsichtig, und lehnte ihr Gesicht an den bandagierten Kopf, so daß ihr Mund gleich neben Hannes Ohr lag.
»Du kriegst eine total geile Narbe auf der Stirn«, flüsterte sie. »Wirklich supergeil.«
MONTAG, 12. OKTOBER
»Das geht einfach nicht, verdammte Pest!« Håkon Sand fluchte nur, wenn er wütend war. »Daß wir, zum Teufel, nicht mal im Büro sicher sind! Und das an einem Scheißsonntag!« Er spuckte die Wörter aus; Vorwürfe der absoluten Unfähigkeit an unbekannte Adresse. Er stand mitten im Zimmer und stampfte im Takt seiner Beschimpfungen mit den Füßen auf.
»Was bringen schon abgeschlossene Türen und
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