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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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so, wie er sein Schreibgerät mißhandelte. Er bot dem Journalisten als Ersatz für den zerbrochenen Kugelschreiber einen Bleistift an.
    »Wie schätzt du die Möglichkeiten der Aufklärung ein?« fragte Myhreng, nachdem er sich die zensierte, aber dennoch sehr interessante Darstellung des Polizeiadjutanten angehört hatte. Sein Nasenrücken war inzwischen gänzlich blau vom vielen Brilleschieben.
    Håkon Sand fragte sich, ob er den Mann auf sein wenig vorteilhaftes Aussehen aufmerksam machen müßte. Er kam zu dem Schluß, daß es dem Journalisten nicht schaden konnte, sich lächerlich zu machen, und deshalb sagte er: »Wir glauben immer an eine Aufklärung. Aber das kann dauern. Wir haben viele Spuren. Das kannst du gern zitieren.«
    Mehr konnte Fredrick Myhreng an diesem Tag aus Håkon Sand nicht herausholen. Aber er war mehr als zufrieden.

DIENSTAG, 13. OKTOBER
    Das Titelbild fiel dramatisch aus. Die Leute im Bildarchiv hatten eines der schon früher veröffentlichten Fotos von Ludvig Sandersens Leichnam herausgesucht und mit einem alten Archivbild von Hansa Olsen zusammenmontiert. Es war sicher über zehn Jahre alt, unscharf und offenbar eine Vergrößerung aus einem ursprünglichen Gruppenbild. Olsen sah überrascht aus und schien zwinkern zu wollen, weswegen seine Augen träge und geistesabwesend blickten. Die Schlagzeile war hellrot und zog sich teilweise über die Bildmontage.
    »Mafia steht hinter zwei Morden!« lautete die gewaltige Botschaft. Håkon Sand erkannte sich kaum wieder. Er las die drei Seiten, die die Zeitung dem Artikel spendiert hatte. Oben auf jeder Seite stand weiß in einem schwarzen Streifen: »Der Mafia-Fall«. Er knirschte vor Ärger mit den Zähnen, mußte bei genauerem Hinsehen jedoch zugeben, daß Myhreng keine direkten Unwahrheiten brachte. Die Tatsachen waren gedehnt worden, die Spekulationen grob und so gut getarnt, daß sie möglicherweise als Wahrheit durchgehen konnten. Aber Håkon war korrekt zitiert und durfte sich nicht beklagen.
    »Nun gut. Es hätte schlimmer sein können«, sagte er und reichte die Zeitung an Karen Borg weiter, die sein Büro inzwischen gut genug kannte, um sich selbst aus dem Vorzimmer kalten Kaffee zu holen. »Höchste Zeit, daß du etwas über deinen Klienten erzählst«, verkündete er. »Der Knabe sitzt noch immer in der Unterhose da und weigert sich, den Mund aufzumachen. Und wo wir nun schon so viel wissen, mußt du anstandshalber weiterhelfen.«
    Sie musterten sich gegenseitig. Karen griff zu einer stillen Kampfstrategie aus alten Zeiten. Sie fing seinen Blick auf und hielt ihn so lange fest, bis alles außer ihren graugrünen Augen zu einem Nebel zerfloß. Er konnte die winzigen braunen Sprenkel in der Iris erkennen, im rechten Auge mehr als im linken; er zwinkerte nicht, traute sich nicht, aus Angst, daß sich dabei sein Blick unrettbar senken würde. Verdammt, es war ihm nie gelungen, dieses Spiel zu gewinnen. Immer starrte sie ihn so lange an, bis er verlegen den Blick senkte, der Verlierer, der Kleinere von beiden.
    Diesmal mußte sie aufgeben. Er sah, daß sich ihre Augen mit Wasser füllten, daß sie zwinkern mußte und daß schließlich ihr Blick seitlich auswich, begleitet von einer schwachen Röte, die sich über die linke Wange zog. Der Sieger triumphierte nicht. Er war verblüfft von seiner Haltung. Ihre Flanken lagen offen, aber er faßte einfach ihre Hände.
    »Ich habe ein bißchen Angst«, sagte er aufrichtig. »Wir wissen nicht viel über diese Bande – oder Mafia, wie sie jetzt heißt. Aber wir wissen, daß das keine Sonntagsschüler sind. Die Zeitung hat sicher Grund zu ihrer Behauptung, daß diese Leute über Leichen gehen, um ihre Interessen zu wahren. Wir haben Grund zu der Annahme, daß sie wissen, daß du etwas weißt. Jedenfalls haben sie den Verdacht.«
    Er erzählte ihr von Hanne Wilhelmsens auf Abwege geratener Notiz. Das machte sichtlich Eindruck. Ihre Haltung war ihm völlig fremd, sie schien bei ihm Schutz zu suchen, bei Håkon, den sie ein ganzes Studium hindurch beschützt und getriezt hatte.
    »Wir können dich nicht beschützen, wenn du uns nicht erzählst, was du weißt!« Er merkte, daß er ihre Hände zu fest preßte. Dort, wo er sie gehalten hatte, waren sie jetzt weiß und rot gefleckt. Er ließ sie los.
    »Han van der Kerch hat mir einiges erzählt. Nicht viel, er will nicht, daß es sich herumspricht. Aber eins darf ich euch sagen. Ich weiß nur nicht, was das wert ist.« Sie hatte sich gefaßt. Ihre

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