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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Schultern waren wieder straff, und ihr Kostüm saß, wie es sich gehörte. »Er sollte Geld für eine Lieferung holen. Als er die Scheine durchzählte, hat er gemerkt, daß einer mit Kugelschreiber beschrieben war. Eine Telefonnummer. Die hat er vergessen, aber daneben standen drei Buchstaben, die ihm vorkamen wie Anfangsbuchstaben; zwischen ihnen standen Punkte. Er erinnert sich an die Buchstaben, weil sie ein Wort ergaben. J.U.L.«
    »JUL?«
    »Ja, mit Punkten dazwischen. Er hat gegrinst und dem Typen gesagt, er wolle keine beschmierten Geldscheine. Der Typ schnappte sich den Zettel und war ziemlich sauer.«
    »Hast du dir überlegt, was das bedeuten könnte?«
    »Ja, allerdings.«
    Es wurde ganz still, und sie waren in ein vertrautes Muster zurückgefallen.
    »Was hast du dir überlegt, Karen?« bat Håkon leise.
    »Ich habe mir überlegt, daß es in Oslo nur einen Anwalt mit diesen Initialen gibt. Nur einen, ich habe in der Anwaltsliste nachgesehen.«
    »Jørgen Ulf Lavik.«
    Håkon Sands Tip war nicht sehr beeindruckend. Sie hatten mit Lavik studiert; er war schon damals eine bekannte Gestalt gewesen. Begabt, umschwärmt und politisch engagiert. Håkon hatte Karen lange verdächtigt, in ihn verliebt zu sein, was sie bei jeder kleinsten Anspielung kategorisch bestritten hatte. Lavik war ziemlich konservativ, und Karen hatte für die Soz. Front im Fachschaftsrat gesessen. Damals waren solche Schranken fast unüberwindbar gewesen, und Karen hatte ihren Kommilitonen oft in aller Öffentlichkeit als reaktionäres Arschloch bezeichnet. Nur zweimal hatten sie miteinander geredet, unter anderem, weil sie sich gemeinsam gegen die Einführung des Numerus clausus gewehrt hatten. Er war sogar einmal in der Hütte ihrer Eltern gewesen, zu einem Wochenendseminar, das sich zur puren Sause entwickelt hatte. Danach war Lavik ihr auch nicht sympathischer gewesen.
    »Ich kapier’ das alles nicht. In der Zeitung steht ja, daß Juristen hinter dieser Bande stecken könnten. Ich kann mir Jørgen Lavik zwar nicht als Bandenchef vorstellen, aber nimm dir diese Information zu Herzen.« Håkon Sand nahm sich diese Information in der Tat zu Herzen. Um so mehr, als Karen gleich darauf hinzufügte: »Du wirst es noch selbst herausfinden. Aber um dir die Mühe zu ersparen: Jørgen hat seine Karriere bei einem von den ganz Großen angefangen. Errätst du, bei wem?«
    »Peter Strup«, antwortete Håkon Sand prompt, und sein Gesicht öffnete sich zu einem riesigen Lächeln.
    Ehe Karen Borg an diesem Nachmittag das Polizeigebäude verließ, überreichte er ihr ein Walkie-talkie. Ihr kam das Gerät altmodisch vor, viel klobiger als ein Mobiltelefon. Sie drehte an einem Knopf, und dann knisterte und rauschte es wie in einem amerikanischen Kriminalfilm. Danach mußte sie auf einen anderen Knopf drücken, um direkten Kontakt mit der polizeilichen Operationszentrale aufnehmen zu können. Sie hieß WT 04. Die Zentrale war WT 01.
    »Das mußt du immer bei dir haben«, befahl Håkon. »Benutz es, sowie etwas ist. Die Operationszentrale weiß Bescheid. In fünf Minuten kann die Polizei bei dir sein.«
    »Fünf Minuten können lang sein«, erklärte Karen Borg.

DONNERSTAG, 15. OKTOBER
    Vor langer, langer Zeit hatte sie einmal hemmungslos mit ihm geflirtet. Damals war sie noch keine Polizeipräsidentin gewesen, sondern Polizeirätin und ganz neu bei den Anklagebehörden. Sie hatten im Rahmen einer Alkoholschmuggelaffäre zur Beweisaufnahme nach Spanien reisen müssen, ihre erste dienstliche Auslandsreise. Der Mann, der jetzt vor ihr im Gästesessel saß, hatte sie damals als Verteidiger begleitet. Die Beweisaufnahme hatte drei Stunden gedauert, die Reise drei Tage. Sie hatten gut gegessen und noch besser getrunken. Der Mann hatte alles verkörpert, was sie bewunderte; er war beträchtlich älter als sie, strotzte nur so vor Geld, war höflich und erfolgreich. Jetzt war er Staatssekretär im Justizministerium – auch nicht schlecht. Während ihrer Reise vor zehn Jahren war es nicht zu mehr gekommen als zu kurzen Schmusereien. An ihr hatte das nicht gelegen. Deshalb war sie jetzt leicht verlegen.
    »Eine Tasse Kaffee, Tee?«
    Er bat um Kaffee und lehnte eine Zigarette ab. »Habe aufgehört«, sagte er und lächelte abweisend.
    Sie merkte, daß ihre Hände feucht waren, und bedauerte, sich keinen Ordner zum Blättern hingelegt zu haben. Statt dessen konnte sie nur Däumchen drehen. Sie wippte unruhig in ihrem riesigen Sessel hin und her.
    »Herzlichen

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