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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Glückwunsch zur Beförderung«, brummte er. »Nicht schlecht.«
    »Das kam total unerwartet«, log sie. In Wirklichkeit war sie aufgefordert worden, sich zu bewerben. Von ihrem Vorgänger. Der Staatssekretär schaute auf die Uhr und kam gleich zur Sache. »Der Minister macht sich Sorgen wegen dieser Anwaltsgeschichte«, erklärte er. »Sehr große Sorgen. Was ist da eigentlich los?!«
    Sie hatte diesem Mann gegenüber zwar vor vielen Jahren unverhohlene Annäherungsversuche unternommen, und sie interessierte sich noch immer für ihn, seine Ernennung zum Staatssekretär hatte nichts daran geändert, aber sie war bis in die Fingerspitzen hinein professionell. »Es ist ein schwieriger und bisher noch recht unklarer Fall«, antwortete sie vage. »Ich kann nicht viel mehr sagen als das, was in den Zeitungen gestanden hat. Einiges davon trifft zu.«
    Der Mann zog seinen Seidenschlips gerade. Er räusperte sich vielsagend, um sie darauf hinzuweisen, daß der engste politische Mitarbeiter des Ministers wohl das Recht habe, Genaueres zu erfahren als mehr oder minder – und eher letzteres – zuverlässige Boulevardblätter. Es half ihm nichts.
    »Unsere Ermittlungen befinden sich in einem sehr frühen Stadium, die Polizei kann jetzt noch keine Auskünfte erteilen. Sollte sich während unserer Nachforschungen etwas ergeben, von dem wir annehmen, daß die politische Leitung des Ministeriums es wissen muß, lasse ich natürlich sofort von mir hören. Das kann ich versprechen.«
    Mehr war nicht aus ihr herauszuholen. Der Mann war alt genug, um das zu begreifen, also unternahm er erst gar keinen Versuch. Als er ihr Büro verließ, fiel ihr auf, daß die zusätzlichen Kilos seinen Hintern weniger anziehend machten. Als die Tür ins Schloß fiel, lächelte sie noch einmal, höchst zufrieden mit sich selbst. Trotz seines Hängehinterns: Der Mann war noch immer attraktiv. Sie würde schon noch eine Chance bekommen. Ein graues Haar schwebte langsam auf ihren Schreibtisch nieder, und sie las es sofort auf. Danach wählte sie die Nummer ihrer Sekretärin.
    »Mach einen Termin bei meinem Friseur«, befahl sie. »So bald wie irgend möglich, bitte.«
     
    Han van der Kerch verlor sein Zeitgefühl. Freilich wurde das Licht gelöscht, um den Untersuchungshäftlingen zu erzählen, daß Nacht war. Außerdem wurde das ungenießbare, in Plastikfolie gewickelte Essen pünktlich serviert, was das Dasein in tagesablaufähnliche Teilchen zerschnitt. Aber ohne Sonne oder Regen, Wetter oder Wind und mit allzuviel Zeit, die er nur schlafend verbringen konnte, war der junge Niederländer in einen apathischen Zustand des Nicht-Seins versunken. Eines Nachts, als fünf Stunden Tagesschlaf ihm unerträgliche Nachtstunden beschert hatten – er hörte wehes Kinderweinen aus der Nachbarzelle und von weiter weg die entsetzlichen Schreie eines Marokkaners auf Entzug –, war ihm aufgegangen, daß er langsam verrückt wurde. Er betete zu einem Gott, an den er zuletzt als Knabe in der Sonntagsschule geglaubt hatte, betete, daß die grelle Deckenlampe wieder eingeschaltet werden sollte. Gott hatte ihn offenbar vergessen, so wie er Gott vergessen hatte; der Morgen kam einfach nicht. In seiner Verzweiflung warf er seine Armbanduhr, die er nach den ersten Tagen in der Zelle zurückerhalten hatte, an die Wand, und sie zerbrach. Jetzt konnte er nicht einmal mehr der Zeit auf ihrer unerträglichen Wanderung in eine Zukunft ohne jeglichen Inhalt folgen.
    Die üppige, kurzsichtige Frau, die den Wagen mit dem Häftlingsfraß vor sich herschob, steckte ihm ab und zu ein Stück Schokolade zu. Das war jedesmal wie Heiligabend. Er zerbrach die Schokolade in winzige Stückchen, die er eins nach dem anderen auf der Zunge zergehen ließ. Die Schokolade konnte nicht verhindern, daß er abnahm, in drei Wochen U-Haft hatte er sieben Kilo eingebüßt. Das stand ihm nicht, war aber egal; er saß ohnehin entweder splitternackt oder in der Unterhose herum.
    Außerdem hatte er Angst. Die Angst, die wie ein wachsender Kaktus in seinem Bauch gesessen hatte, als er sich über Ludvig Sandersens mißhandelten Leichnam bückte, hatte sich in seinem ganzen Leib ausgebreitet. Seine Hände zitterten schlimm, er kleckerte beim Trinken jedesmal. In der ersten Zeit hatte er sich in die Bücher vertiefen können, die sie ihm geliehen hatten, aber inzwischen ließ ihn seine Konzentrationsfähigkeit im Stich. Die Buchstaben hüpften und tanzten über die Seite. Er hatte Pillen bekommen. Das heißt,

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