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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Krankenschwester. »Schließlich haben wir eine Art Ordnung in sein Seelenleben gebracht, auch wenn wir nicht wissen, wie lange die vorhalten wird. An den ersten beiden Tagen mußten wir dem Jungen Windeln anlegen, es wäre sonst zu mühsam gewesen, verstehst du.« Ihr weicher südnorwegischer Akzent hörte sich an, als wolle sie um Entschuldigung bitten, als sei sie allein für die finanziellen Engpässe im Gesundheitswesen verantwortlich. »Normalerweise wechseln die Schwesternhelferinnen die Windeln, verstehst du. Aber er war total verstopft, bis ich vor anderthalb Tagen Nachtwache hatte. Wir packen dann auch mit zu, bei den Patienten, meine ich. Also habe ich seine Windeln gewechselt. Eigentlich ist das die Aufgabe der Schwesternhelferinnen, verstehst du.«
    Hanne verstand.
    »Und dabei ist mir in seinem Stuhl ein weißer, unverdauter Klumpen aufgefallen. Ich war neugierig und habe ihn herausgefischt. Wir tragen natürlich Plastikhandschuhe.« Kichern.
    Hanne Wilhelmsen verlor langsam die Geduld. Sie fuhr sich nervös mit dem Zeigefinger über die Stoppeln an ihrer Schläfe. Ihre Haare wuchsen nach und pieksten.
    »Es war ein Zettel. Postkartengroß, zusammengeknüllt, aber die Schrift war noch lesbar. Selbst nach einer kleinen Katzenwäsche. Ich dachte, das könnte dich interessieren, verstehst du, deshalb habe ich angerufen. Sicherheitshalber.«
    Hanne Wilhelmsen lobte sie überschwenglich und hoffte, die Dame werde bald zur Sache kommen.
    Schließlich erfuhr sie, was auf dem Zettel stand. »Ich bin in einer Viertelstunde bei euch« sagte sie blitzschnell. »In zehn Minuten.«
     
    Inzwischen war ein Bereitschaftsraum eingerichtet worden. Das klang großartig – bis man das Zimmer betrat. Zwanzig Quadratmeter waren nach der Raumverteilung der A 2.11 übriggeblieben, hinten im Nordwestflur. Der Raum war unpersönlich und ziemlich unbrauchbar. Bei größeren Fällen nannten sie ihn »Bereitschaftszimmer« und sammelten dort Papiere und Personal. Im Grunde funktionell. Zwei Telefone, eins auf jedem der Schreibtische, die einander gegenüber unter dem Fenster standen, die gleichen kleinen Metallstiefel wie bei allen Tischen im Haus, die Tischplatten waren abgeschrägt und bildeten ein Dach. Ein Tablett mit angeknabberten Bleistiften, Radiergummis und Wegwerfkugelschreibern balancierte auf dem Giebel. Die Wände hinter den Schreibtischen waren von Bücherregalen bedeckt. Die waren leer und erinnerten alle daran, wie wenig sie hatten. Ein viel zu alter Kopierer in einem kleinen Nebenzimmer summte enervierend und monoton.
    Hauptkommissar Kaldbakken leitete die Besprechung. Er war mager und redete mit einem Akzent, bei dem die Hälfte aller Worte in einem undeutlichen Gemurmel unterging. Das war nicht weiter schlimm. Alle Anwesenden waren an ihn gewöhnt und konnten erraten, was er sagte. Viel war es nicht.
    Hanne Wilhelmsen trug vor. Sie ging alles durch, was sie hatten, trennte Tatsachen von Spekulationen, Fakten von Gerüchten. Leider hatten sie vor allem Spekulationen und Gerüchte. Trotzdem machte es einen gewissen Eindruck. Die technischen Funde waren spärlich und kaum geeignet, irgendwen zu beeindrucken.
    »Anwalt Lavik festnehmen«, forderte ein junger Polizist mit Sommersprossen und Stupsnase. »Alles auf eine Karte setzen. Der platzt!«
    Das peinliche Schweigen machte dem Rothaarigen klar, daß er sich blamiert hatte. In seiner Verlegenheit fing er an, Nägel zu kauen.
    »Was sagst du, Håkon, womit können wir eigentlich weitermachen?«
    Hanne hatte diese Frage gestellt. Sie sah inzwischen besser aus, hatte sich den Tatsachen gebeugt und sich die Haare schneiden lassen. Es war eine klare Verbesserung, ihre schiefe Frisur hatte komisch gewirkt. Håkon Sand schien geistesabwesend, riß sich aber zusammen.
    »Wenn wir Lavik zu einer freiwilligen Aussage bringen könnten, wären wir vielleicht ein Stück weiter. Das Problem ist, daß wir einen Grund für ein Verhör brauchen. Wir wissen ja …« Er unterbrach sich und fing den Satz noch einmal an.
    »Wir glauben ja, daß der Mann schuldig ist, es sind einfach zu viele Zufälle im Spiel. Dieses Treffen mitten in der Nacht mit dem bewaffneten Flüchtling, die Initialen auf dem Geldschein, der Besuch im Hinterhof an dem Tag, an dem der Warnzettel Han van der Kerch in eine Scheißpanik versetzt hat. Und noch eine Tatsache: Er war bei Jacob Frøstrup, nur wenige Stunden bevor der arme Mann seinen Hut genommen hat.«
    »Gerade das bedeutet eigentlich nichts«,

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