Blinde Goettin
guten Juristen sich den schlechten überlegen fühlen. Vielleicht steigt ihm das zu Kopf.«
Schließlich gab sie nach, aber Håkon mußte ausdrücklich versprechen, die Klappe zu halten. Auf ein Signal hin durfte er etwas sagen, aber er sollte nur Floskeln und leere Phrasen bringen und sich über den Inhalt des Falles ausschweigen.
»Let’s take the good-guy-bad-guy-routine«, sagte sie schließlich lächelnd. Sie wollte herumpöbeln, er durfte freundschaftlich auf die Schulter klopfen.
»Aber übertreib die Pöbeleien nicht«, warnte der Adjutant.
»Sonst steht er auf und geht, und wir haben nichts, womit wir ihn zurückhalten könnten.«
Lavik kam freiwillig, ohne Aktentasche, ansonsten elegant und seinem Beruf angemessen gekleidet, in Anzug und feschen Schuhen; zu fesch für den Matsch in Oslos Straßen. Seine Füße waren naß, das mittelbraune Leder wies oberhalb der Sohlen einen mehrere Zentimeter breiten Rand auf, der eine unangenehme Herbsterkältung erwarten ließ. Die Schultern seines Tweedmantels waren naß, und Håkon Sand registrierte das exklusive Warenzeichen, als Anwalt Lavik den Mantel auszog und kurz schüttelte, ehe er sich nach einem Haken oder einem Kleiderbügel umsah. Er fand weder noch und hängte den Mantel schließlich über die Stuhllehne. Er war freundlich und entgegenkommend und zeigte keinerlei Anzeichen von Nervosität.
»Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte er lächelnd und strich sich die vollen Haare aus der Stirn. Sie fielen sofort wieder zurück. »Stehe ich unter irgendeinem Verdacht?« fragte er mit noch breiterem Grinsen.
Hanne Wilhelmsen beruhigte ihn. »Vorläufig nicht.«
Håkon Sand fand das kühn. Aus Schaden klug geworden, sagte er trotzdem nichts. Weder er noch die Kommissarin hatte etwas zum Schreiben. Sie wußten beide, daß das Mundwerk beim Anblick von Tonbandgeräten oder Schreibutensilien leicht steckenblieb.
»Wir gehen im Zusammenhang mit Fällen, die uns Kopfzerbrechen machen, verschiedenen Theorien nach«, gab sie zu. »Wir haben das Gefühl, daß du uns vielleicht helfen kannst. Nur einige Fragen. Du kannst gehen, wann immer du willst.«
Das brauchte sie ihm nicht zu sagen.
»Das ist mir durchaus bewußt«, sagte er freundlich, aber sie hörte den gewissen Unterton. »Ich bleibe hier, bis ich Lust habe zu gehen. Okay?«
»Okay«, antwortete Håkon und hoffte, daß das zu seinen Befugnissen gehörte. Er hatte das Bedürfnis, irgendwas zu sagen, um sein Gefühl, nicht vonnöten zu sein, zu dämpfen. Es half nichts.
»Hast du Hans A. Olsen gekannt? Den Anwalt, der kürzlich ermordet worden ist?« Hanne kam sofort zur Sache, aber Anwalt Lavik hatte offenbar damit gerechnet.
»Nein, das kann ich nicht behaupten«, antwortete er ruhig. Nicht zu schnell, nicht zu zögernd. »Ich habe ihn nicht gekannt, aber ich habe einige Male mit ihm gesprochen. Wir operieren ja auf demselben Markt, als Verteidiger, meine ich. Bin ihm sicher im Gericht und vielleicht auch bei Besprechungen unter Verteidigern begegnet. Aber gekannt habe ich ihn nicht. Wie gesagt.«
»Was denkst du über den Mord?«
»Den Mord an Hansa Olsen?«
»Ja.«
»Nein, was ich denke …« Sein Zögern war natürlich, er wirkte nachdenklich, als ob er sich anstrengte, entgegenkommend zu sein, wie jeder Unschuldige, der der Polizei etwas zu sagen hat. »Ehrlich gesagt habe ich nicht weiter darüber nachgedacht! Hab’ mir wohl überlegt, es könnte ein unzufriedener Mandant gewesen sein, diese Erklärung wird in unserer Szene jedenfalls gehandelt, um das mal so zu sagen.«
»Was ist mit Jacob Frøstrup?«
Hanne und Håkon behaupteten später, einen Hauch von Unsicherheit bemerkt zu haben, als der unglückselige Mandant des Anwalts erwähnt wurde. Sie konnten ihr Gefühl aber nicht konkretisieren und gaben deshalb zu, daß es vielleicht eher ihren Hoffnungen als ihrer Urteilskraft entsprungen war.
»Das mit Jacob war schlimm. Er hatte seit seiner Geburt immer nur Pech. Er war seit vielen Jahren mein Mandant, aber er ist nie wegen einer richtig großen Sache bestraft worden. Ich begreife nicht, warum er sich in solche Geschäfte eingemischt hat. Er hatte nicht mehr lange zu leben; soviel ich weiß, hatte er schon seit über drei Jahren Aids.« Er starrte aus dem Fenster, als er das sagte. Das war die einzige klare Veränderung seit Gesprächsbeginn. Er riß sich zusammen und wandte sich wieder seinen Gesprächspartnern zu.
»Ich habe gehört, er ist am Tag meines Besuchs gestorben. Schlimm.
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