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Blinde Goettin

Blinde Goettin

Titel: Blinde Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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verlaufen. Aus der Polizei konnte er nichts herausholen. Das lag sicher daran, daß die steckengeblieben waren. Ihm ging es auch nicht anders. Sein Redakteur war unzufrieden und hatte ihn in den normalen Dienst zurückbeordert. Es ödete ihn an, bei Gericht herumzulungern und wortkargen Polizeiräten nichtssagende Informationen zu entlocken, mit denen sich höchstens ein Einspalter füllen ließ.
    Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt und sah aus wie ein vergrätzter Dreijähriger in der Trotzphase. Sein Kaffee war bitter und kalt. Sogar seine Zigarette schmeckte zum Kotzen. Sein Notizblock war leer.
    Er fuhr so plötzlich auf, daß er seine Kaffeetasse umwarf. Ihr schwarzer Inhalt ergoß sich über Zeitungen, Notizen und ein Taschenbuch. Fredrick Myhreng sah sich den Dreck einige Sekunden lang an, dann beschloß er, darauf zu scheißen. Er schnappte sich seine Jacke und eilte aus der Redaktion, ehe irgend jemand ihn aufhalten konnte.
    Ein alter Schulkamerad betrieb den kleinen Laden. Myhreng schaute ab und zu vorbei, um neue Schlüssel für die jeweils neue Dame zu besorgen – sie gaben sie ja nie zurück – oder weil er neue Absätze für seine Stiefel brauchte. Was Schlüsselmachen mit Schuhmacherei zu tun hatte, war ihm unbegreiflich, aber sein Schulkamerad war nicht der einzige in der Stadt, der beides kombinierte.
    Sie begrüßten einander absolut überschwenglich. Fredrick Myhreng hatte das unangenehme Gefühl, daß der Mann in dem kleinen Laden stolz darauf war, einen Hauptstadtjournalisten zu kennen, behielt dieses Ritual aber bei. Der winzige Laden war leer, und der Inhaber war mit einem abgelatschten schwarzen Winterstiefel beschäftigt.
    »Schon wieder eine Neue, Fredrick! Du hast doch bald an die hundert Schlüssel zu deiner Wohnung in der Stadt verstreut!« Der Mann grinste breit und grob.
    »Nein, immer noch dieselbe, Mann. Ich wollte dich wegen etwas ganz anderem um Hilfe bitten.« Der Journalist fischte eine kleine Metalldose aus einer seiner geräumigen Taschen. Er öffnete sie und zog vorsichtig die beiden Knetgummiabdrücke heraus. Soweit er sehen konnte, waren sie beide unbeschädigt. Er hielt sie seinem Schulkameraden hin.
    »Aber Fredrick, bist du unter die Gauner gegangen?« In seiner Stimme lag ein Hauch von Ernst, und er fügte hinzu: »Ist das von einem numerierten Schlüssel? Davon mache ich keine Kopien. Nicht einmal für dich, alter Kumpel.«
    »Nein, der ist nicht numeriert. Das siehst du doch am Abdruck.«
    »Der Abdruck ist keine Garantie. Schließlich kannst du den Abdruck der Nummer entfernt haben. Aber ich glaub’ dir mal.«
    »Heißt das, du kannst eine Kopie machen?«
    »Ja, aber das dauert seine Zeit. Ich hab’ hier nicht das richtige Werkzeug. Normalerweise benutze ich fertig gegossene Rohlinge, das machen wir fast alle. Die schleife ich mit diesem feschen Gerät hier zurecht.« Er streichelte ein Ungetüm von einem Apparat mit Knöpfen und Schaltern. »Du kannst in einer Woche mal vorbeischauen. Dann müßte ich soweit sein.«
    Fredrick Myhreng nannte ihn einen Engel und war schon fast draußen, als er sich noch einmal umdrehte. »Hast du eine Ahnung, was das für ein Schlüssel sein kann?«
    Der Schlüsselmann zögerte. »Er ist klein. Vielleicht für einen Schrank? Vielleicht auch für ein Schließfach. Ich werd’s mir durch den Kopf gehen lassen.«
    Myhreng stapfte zu seiner Redaktion zurück, er war jetzt ein wenig besser gelaunt.
     
    Vielleicht hatte der Junge im Nebelheim Lust auf einen kleinen Spaziergang. Hanne Wilhelmsen jedenfalls war bereit, einen neuen Versuch zu wagen. Die Nachrichten aus dem Gefängnis ließen vermuten, daß es dem Niederländer etwas besser ging. Was nicht viel hieß.
    »Nehmt ihm die Ketten ab«, befahl sie, während sie sich im stillen fragte, ob junge Polizisten unfähig zum Selberdenken waren. Die apathische, abgemagerte Gestalt vor ihr hätte sich gegen zwei kräftige Polizisten nun wirklich nicht wehren können. Es war sogar die Frage, ob er überhaupt rennen konnte. Sein Hemd umschlotterte ihn, sein dünner Hals ragte wie der eines hungernden Kriegsgefangenen daraus hervor. Die Hose hatte ihm sicher irgendwann einmal gepaßt; jetzt wurde sie nur von einem strammen Gürtel gehalten, in den irgendwer viele Zentimeter neben dem letzten ein neues Loch gemacht hatte. Das Loch war schief angebracht, und das lose Gürtelende ragte nach oben, um dann unter seinem eigenen Gewicht abzuknicken, wie eine mißlungene Erektion. Der Mann trug

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