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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Ausgelöscht?
    Sie zwang sich, den Kopf in die andere Richtung zu drehen. Zu Ribar hin, der keine vier Meter von ihr entfernt stand, die weißen, blutleeren Hände über den Kopf gestreckt, der Atem unregelmäßig und pfeifend.
    «Ich finde, wir sollten klären, ob Sie mit Ihrem Verdacht richtigliegen», sagte sie. Es kam etwas zu unbeschwert heraus und wirkte gerade dadurch verkrampft. Beatrice räusperte sich. «Sie haben selbst gesagt, dass Sie niemand Unschuldigem schaden wollen. Lassen Sie Herrn Ribar doch wenigstens auf das antworten, was sie ihm vorwerfen.»
    War sie überzeugend gewesen? Hoffentlich, denn in ihrem eigenen Kopf formten sich immer mehr Details, die dafür sprachen, dass Nikolas Annahme richtig sein konnte. Selbst wenn man die Ähnlichkeit zwischen dem Foto des Söldners und dem gefesselten Mittfünfziger vor ihr beiseiteließ – Ribar war hier, mit seinem eigenen Auto hergefahren. Das hieß, er war den Hinweisen gefolgt, die Nikola wie Brotkrumen gestreut hatte, um ihr Opfer anzulocken. Aus journalistischen Gründen? Oder um sich derer zu entledigen, die sein früheres Ich erkannt hatten? So wie Ira. Wie Ehrmann.
    Falls diese Theorie stimmte, hatte Frank Heckler seine neue Existenz mit den Mitteln geschützt, die er im Krieg gelernt hatte. Mein Gott, er hatte Kinder, eine junge Frau – er musste sich sicher gefühlt haben, bis zu der plötzlichen Konfrontation mit seiner Vergangenheit.
    Aber wer hatte ihn damit konfrontiert?
    Der Papierschnipsel zwischen Sarah Beckendahls Fingern stand ihr wieder vor Augen. Was hatte Nikola vorhin gesagt? Dass er das Foto ausgedruckt hatte. Mehrmals. Für Freunde. Wollte Sarah ihm ihre Liebe dadurch beweisen, dass sie Heckler für ihn ausfindig machte? War sie so naiv gewesen?
    Die Rückschlüsse, die sich in ihrem Kopf plötzlich auftaten, hatten Beatrice fast vergessen lassen, dass sie einen Vorschlag gemacht hatte. Ribar sollte reden, und offenbar fand auch Nikola, dass dafür nun die Zeit gekommen war.
    Mit einem Ruck hatte er dem Journalisten das Klebeband vom Gesicht gerissen. Dabei, das zusammengeknüllte Tuch aus dem Mund zu bekommen, half er ihm allerdings nicht. Ribar mühte sich sichtlich ab, schaffte es schließlich und holte aufschluchzend Atem. Dabei gaben seine Knie nach, als hätte nur der Knebel ihn auf den Beinen gehalten.
    «Der Mund», sagte Nikola. «Diese schmale Unterlippe, die Oberlippe dagegen so voll. Die Augen. Der ganze Gesichtsausdruck. Wenn Sie das Foto gesehen haben, wissen Sie, wie Heckler lächelt. Genau wie damals, als er meine Mutter erschossen hat.»
    «Nicht wahr», brachte Ribar mühsam hervor. «Frau Kaspary, helfen Sie mir doch bitte. Bitte! Sie kennen mich seit Jahren. Ich habe nichts getan, nichts!»
    Mit aller Kraft versuchte Beatrice noch einmal, sich an das Foto des Söldnerführers zu erinnern. An das Bild Frank Hecklers, der allen Unterlagen zufolge 1993 ums Leben gekommen war.
    «Tun Sie doch etwas!»
    Nikola versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht, und Ribar heulte auf. «Kein Wort, wenn ich dich nichts gefragt habe. Wie war das eigentlich für dich, damals, als ihr Gornja Trapinska verlassen habt? Wie lange habt ihr das verbrannte Fleisch gerochen, hm?»
    Er wandte sich zu Beatrice um. «Seine Leute haben mich im Heizungskeller der Schule eingesperrt, mit so vielen anderen Männern, dass niemand sich setzen konnte. Zusammengepfercht. Und dann haben sie das Haus angezündet. Brandbomben. Ich war schmal und flink und stand nah an einem der beiden Oberlichter. Deshalb bin ich rausgekommen. Sieben andere auch. Aber der Rest …» Er schlug Ribar noch einmal, härter. «Der Rest war Grillfleisch! Habt ihr es gerochen auf euren LKWs und Panzern? Habt ihr Hunger bekommen?» Ein weiterer Schlag. «Jetzt habe ich dich etwas gefragt, also antworte gefälligst!»
    Ribar wimmerte, frisches Blut lief aus seiner Nase. «Ich weiß nicht, was Sie meinen.»
    «Das ist der falsche Weg», hörte Beatrice sich selbst sagen. «Wenn Boris Ribar in Wahrheit wirklich Frank Heckler ist, dann wird er vor das UN-Kriegsverbrechertribunal gestellt. In Den Haag. Lassen Sie die Polizei ihre Arbeit tun, Nikola.»
    Seine Wut, die sich eben noch auf Ribar konzentriert hatte, richtete sich nun auf Beatrice. Er fuhr herum und baute sich wenige Zentimeter vor ihr auf. Sie kniff die Augen in Erwartung eines Schlags zusammen, der nicht kam.
    «Lassen Sie die Polizei ihre Arbeit tun», äffte er sie nach. «Das haben wir versucht, wissen Sie? Nicht

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