Blinde Voegel
Gornja Trapinska?»
«Ja, oder aus der nächsten Umgebung. Wir wurden ziemlich breit über Deutschland und Österreich verstreut, nach der Flucht, aber haben uns nie ganz aus den Augen verloren. Als das Foto auftauchte, habe ich es an alle geschickt, vergrößert und per Post. Jeder von ihnen hat Heckler wiedererkannt, und dann haben wir uns alle, nach und nach, in der Gruppe angemeldet.»
«Weil Sie gehofft haben, dass noch jemand ein Foto von ihm postet?» Florin klang sarkastisch, hörte es offenbar selbst und holte tief Luft. «Tut mir leid. Ich stelle meine Frage anders. Warum dort? Warum haben Sie nicht Ihre eigene geheime Gruppe gegründet oder sich einfach per Mail ausgetauscht?»
Nikola überlegte. «Es hat sich so ergeben. Es hat sich außerdem angefühlt wie … Schicksal. Ich dachte auch, dass wir dort in der Menge verschwinden können. Wenn wir uns gegenseitig Bilder und Nachrichten geschickt haben, konnte die jeder sehen, deshalb würde niemand etwas Geheimnisvolles dahinter vermuten. Selbst wenn der Verfassungsschutz unsere Computer einkassiert hätte, hätte er nur Diskussionen über Gedichte gefunden.» Er lachte. «Ist vielleicht paranoid, aber wir haben uns damit alle wohl gefühlt.»
Beatrice kreiste mit dem Stift die nächste Frage auf ihrer Liste ein. «Lassen Sie uns über Sarah reden. Sie war nicht eingeweiht, vermute ich.»
«Nein.» Seine Gesichtszüge erschlafften. «An dem, was mit ihr passiert ist, bin ich mit schuld. Sie war so versessen darauf, mir eine Freude zu machen.» Er blickte konzentriert auf seine Hände. «Sie hat mich eines Abends erwischt. Weinend, mit der ausgedruckten Facebook-Seite mit Pallaufs Bild und dem Gedicht in der Hand. Ich wollte ihr nicht die Wahrheit sagen, meine Vergangenheit war immer tabu, also habe ich erzählt, der Mann da wäre mein Vater und abgehauen, als ich ein Kind war, ich hätte das Foto durch Zufall im Internet entdeckt. Sie sah natürlich, wo es her war, sie war ja selbst auf Facebook. Sie hat die Gruppe ausfindig gemacht und sich Pallaufs Adresse aus dem Telefonbuch gesucht. Mir hat sie gesagt, sie fährt nach Aachen, um Freunde zu besuchen, aber in Wirklichkeit hat sie in Salzburg Pallauf getroffen und muss ihn überredet haben, dass er ihr bei der Suche nach meinem angeblichen Vater helfen soll. Er war schließlich der Fotograf, für ihn musste das doch auch ein Abenteuer sein, nicht? Sie hat so gedacht, so – unbeschwert. Konnte dabei sehr überzeugend sein, ich schätze, dass Pallauf kaum eine Chance hatte, sie abzuweisen. Und dann sind die beiden ihm direkt in die Arme gelaufen, nicht wahr?» Er legte eine Hand vor den Mund, schloss die Augen. «Das tut mir so leid.»
Beatrice schenkte ihm einen Schluck Wasser nach und sich selbst auch. «Wie war es mit Ira? Sie sagten, Sie hätten gemeinsam mit ihr geplant, Heckler zu stellen.»
Er nickte, lächelte, wurde sofort wieder ernst. «Ira war eine Löwin. Hat ihn gejagt, bis sie ihn hatte. Sie war drauf und dran, seinen neuen Namen und seine Adresse herauszufinden, und sie war mehr als eine Woche unterwegs auf der Suche nach dem richtigen Ort für uns, um … mit ihm allein zu sein. Ich hatte ihr meine ganze Geschichte erzählt, über Skype. Daher fand sie die Autowerkstatt Brucker sehr passend.»
Er schluckte, sah zur Seite. Wirkte plötzlich viel jünger, als er war. «Haben Sie sich einmal gefragt, was DVD bedeutet? Es geht da nicht um Filme, wissen Sie?»
Beatrice hatte eine vage Idee, wollte es aber lieber von ihm hören. «Dominik Ehrmann sagte, er wüsste es, hat es mir aber nicht verraten.»
Er blickte hoch. «Dubravko, Velina und Darica.» Seine Stimme war tonlos. «Mein Vater, meine Mutter und meine Schwester. Getötet am neunzehnten Dezember 1991.»
Das Geburtsdatum, das er in seinem Facebook-Profil angegeben hatte. Nikola Tod. Wieder ein Kreis, der sich schloss. Blieb noch eine Sache zu klären.
«Sie werden sich auch für den Tod von Dominik Ehrmann verantworten müssen. Die Fingerabdrücke auf der Tatwaffe stimmen mit Ihren überein.»
Er nickte. «Natürlich. Ich habe viele furchtbare Fehler gemacht, aber das war vielleicht der schlimmste.» Er sah zur Decke, blinzelte. «Einer von den Guten, verstehen Sie? Er hat sich immer wieder für Marja eingesetzt und sich dann bei unserer Suche engagiert, seine Zeit geopfert, obwohl er persönlich gar nicht betroffen war.» Nikolas Stimme war völlig ruhig, aber über sein Gesicht liefen Tränen. «Er wollte zur Polizei,
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