Blinde Voegel
Sie auch mit ihm sprechen?»
Jetzt erst hörte Beatrice die Schritte aus der Empfangshalle. Genagelte Schuhe auf Marmorboden.
«Liebling!», rief Crontaler. «Kommst du schnell? Ich möchte dich gern Maxim Wenningers Bruder vorstellen!»
Peter Crontaler war das, was Beatrices Mutter einen «stattlichen Mann» nannte: groß, breitschultrig, grauhaarig und mit einer Stimme, die jeden Raum mühelos füllte.
«Es ist mir ein Vergnügen, auch wenn der Anlass ein so trauriger ist.» Sein Händedruck war eine Spur zu fest. Auf Florins Aufforderung hin schilderte er den Eindruck, den Pallauf als Student bei ihm hinterlassen hatte – schüchtern, aber gebildet; unauffällig, aber begeisterungsfähig. «Wie viel meine Einschätzung wert ist, kann ich leider nicht sagen. Eher wenig, befürchte ich, bei der Zahl an Studenten, die ich unterrichte.»
«Pallauf war auch auf der Lyrik-Seite Ihrer Frau aktiv. Sehen Sie da ab und an rein?»
Insgeheim erwartete Beatrice, dass der Professor ein nachsichtiges Lächeln zumindest andeuten würde, doch er blieb völlig ernst. «Nur gelegentlich, aber dann sehr gerne. Ich freue mich immer, wenn meine Studenten sich dort anmelden, um sich ohne Druck über Lyrik auszutauschen.» Er legte einen Arm um Helen Crontalers Schultern und drückte sie sanft an sich. «Sprache ist etwas so Schönes, und Gedichte feiern diese Schönheit, sie bringen sie zur Geltung. Helens Arbeit ist wichtig, sie gibt den Gedichten ein Podium, und wenn ich kann, unterstütze ich sie dabei.»
Alle Achtung, der Mann trug dick auf, aber Helen Crontaler freute sich ganz offenbar darüber. Oder galt ihr Strahlen immer noch Florin?
«Deshalb lasse ich auch jeden, der gerne möchte, in die Gruppe hinein», bekräftigte sie. «Wenn er sich danebenbenimmt, sich zum Beispiel über andere lustig macht, ist er allerdings ganz schnell wieder draußen.»
«Verständlich.» Florin zog einen Strich unter seine Notizen. «Das wäre es für den Moment. Falls weitere Fragen auftauchen sollten, melden wir uns. Und falls Ihnen etwas ein- oder auffällt …»
«… dann melde ich mich», ergänzte Helen Crontaler seinen Satz. «Aber natürlich.»
Sie begleitete Beatrice und Florin zur Tür. «Viel Glück.»
«Danke. Seien Sie bitte so freundlich und erwähnen Sie in der Gruppe Sarah Beckendahls Tod nicht. Keine Anspielungen auf eine Verbindung zwischen ihr und Pallauf.»
Helen hielt einen Moment inne, als hätte sie das noch nicht bedacht. «Ja, selbstverständlich. Und ich gebe Ihnen Bescheid, wenn jemand sich merkwürdig verhält.»
«Dafür wären wir dankbar.»
Auf der Rückfahrt saß Beatrice am Steuer, denn Florin wirkte immer noch müde und bedrückt. Sie überließ ihn seinen Gedanken, widmete sich ihren eigenen und erschrak beinahe, als er plötzlich auflachte.
«Alles in Ordnung?»
Er wandte sich zu ihr um. «Entschuldige bitte. Ja, natürlich. Ich kann nur diese Art Leute nicht leiden, aber das ist mein Problem, nicht ihres. Helen Crontaler ist im Grunde sicherlich eine sehr liebenswerte Frau.»
Ein schneller Blick nach rechts, bevor Beatrice ihre Aufmerksamkeit wieder dem Verkehr widmete. «Ja, den Eindruck macht sie. Ebenso wie ihr Mann.» Sie versuchte, es sich zu verkneifen, sagte es dann aber doch. «Sind offenbar Fans deines Bruders.»
Florin brummte etwas, aus dem Beatrice die Worte er hasst diese Typen genau wie ich herauszuhören glaubte, sie fragte aber nicht nach. War es der Reichtum der Crontalers, der Florin so heftig auf sie reagieren ließ? Das konnte es kaum sein, denn er selbst bewohnte ein Penthouse in der Salzburger Innenstadt. Eigentlich unleistbar für einen Polizisten, außer natürlich, man erbte es.
«Menschen wie die», hörte Beatrice ihn sagen, «haben Kreise. Hast du bestimmt schon öfter gehört: In unseren Kreisen ist das nicht üblich. In diesen Kreisen urlaubt man dieses Jahr auf Mauritius, man trinkt nur Weine von gewissen Weingütern, und man frequentiert die gleichen Golfclubs. Und selbstverständlich bewacht man den Zugang zu diesen exklusiven Gefilden höchst sorgsam.» Er stieß die Luft durch die zusammengebissenen Zähne aus. «Man schmückt sich mit Prominenten, gerne mit Künstlern, aber auch mit Politikern und anderen einflussreichen Größen. Staatsanwälten wie Gellmann zum Beispiel. Er gehört auch zu diesen … Kreisen .»
Der Verkehr wurde dichter, und Beatrice musste bremsen, als jemand unmittelbar vor ihr die Spur wechselte. Dass Florin die Salzburger
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