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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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was du meinst, Boris.
Boris Ribar Würde ich. Trifft es aber nicht so ganz.
Helen Crontaler Wenn du Menschen, die Lyrik lieben, nicht schätzt, wieso bist du dann hier, Boris?
Dominik Ehrmann Er hat doch gar nicht gesagt, dass er sie nicht schätzt. Nur dass manche von ihnen vielleicht gern als intellektueller gelten möchten, als sie sind.
Christiane Zach Gedichte sind wie Musik. Man muss sie nicht verstehen, sondern fühlen.
Ira Sagmeister Ich wünsche mir, dass man sie versteht. Ich wünsche mir das sehr.
    In diesem Ton ging es weiter. Es entspann sich eine angeregte Diskussion darüber, ob Lyrik mit dem Kopf, dem Bauch oder beidem zu begreifen sei, und recht schnell bildeten sich klare Fronten. Beatrice glaubte, Ira durchaus zu verstehen. Etwas erfüllte das Mädchen mit Düsternis und Wut, die sie allem Anschein nach gegen sich selbst richtete. Weder in ihrer Chronik noch in der Gruppe hatte sie auch nur einen einzigen positiven Eintrag gepostet, nichts Helles, von Fröhlichem ganz zu schweigen.
    Nachdenklich zeichnete Beatrice mit dem Mauszeiger unsichtbare Zickzacklinien auf den Bildschirm. Klickte auf das Profil von Boris Ribar, der darauf beharrte, dass ein Gedicht nur mit der richtigen Interpretation wirklich seine ganze Kraft entfalten konnte. Doch Ribar verriet Außenstehenden nichts über sich, und sein Profilbild zeigte lediglich eine dampfende Tasse Tee vor einem Kaminfeuer. Schade, denn der Name kam Beatrice diffus bekannt vor, war das Einbildung? Nein, das war kein Allerweltsname. Er musste ihr schon früher in einem anderen Zusammenhang untergekommen sein.
    Statt sich den Kopf zu zerbrechen, befragte sie Google – und lachte zwei Sekunden später auf, wenn auch leicht gequält. Ein Journalist. Die Suchmaschine hatte seitenweise Online-Artikel ausgespuckt. Typische Lokalmeldungen, meist aus der Umgebung von Salzburg: ein abgestürzter Paragleiter, Feuerwehreinsätze nach starken Regenfällen, das Gerichtsverfahren gegen einen korrupten Bürgermeister.
    Und ziemlich weit vorne ein Bericht über den spektakulären Kriminalfall vom letzten Mai, bei dem mehrere Menschen auf grausame Weise getötet worden waren, bis schließlich die Salzburger Mordkommission unter Einsatz ihres Lebens den Täter ausfindig gemacht hatte. Beatrice las ihren eigenen Namen in dem Beitrag und leerte den Rest des Glases auf einen Zug.
    BoRi war das Kürzel, mit dem Ribar seine Artikel kennzeichnete. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und atmete durch.
    Ribar war einer von denen, die über alles und nichts schrieben, Bezirksblätter belieferten und vermutlich davon träumten, irgendwann etwas aufzudecken, das sie dann an eines der großen Magazine verkaufen konnten, am besten international. Beatrice kannte die Sorte zur Genüge, sie stellten bei den Pressekonferenzen voyeuristische statt sachliche Fragen und wurden unhöflich, wenn sie keine Antworten bekamen. Vor der Einführung des abhörsicheren Polizeifunks hatten sie hin und wieder sogar von Tatorten vertrieben werden müssen. Aber Sympathie oder nicht war hier nicht die Frage – immerhin hatte sie neben Helen Crontaler jetzt noch jemanden aus der Masse gepickt, den sie einordnen konnte.
    Sie wettete mit sich selbst, dass er sich erst nach dem Tod von Gerald Pallauf bei «Lyrik lebt» angemeldet hatte. Wahrscheinlich nach ein paar gemeinsamen Bieren mit Sachs, dem Messie-Mitbewohner. Das würde sie überprüfen, und dann würde sie sich Ribar vorknöpfen.
    Über Tina Herbert ließ sie ihm eine Freundschaftsanfrage zukommen, dann widmete sie sich Nikola DVD. Sie hatte sich längst schon vorgenommen, sie ebenfalls als FreundIn hinzuzufügen , jetzt tat sie es und sandte, um sicherzugehen, eine persönliche Nachricht mit: Wir beide lieben Gedichte, ich würde mich freuen, wenn wir uns vernetzen könnten. Alles Liebe, Tina.
    Beinahe hätte sie «Alles Liebe, Bea» geschrieben. Sie verschränkte die Finger und schloss kurz die Augen. Am besten, sie schrieb gar nichts mehr, müde, wie sie war, sonst würde sie es noch fertigbringen, sich selbst zu enttarnen.
    Genug für heute. Sie klickte ein schnelles «Gefällt mir» unter den Baudelaire und die Ballade von Kästner, dann klappte sie das Notebook zu und vertrieb den hartnäckigen Geschmack des Lammeintopfs mit einer Dosis Alka-Seltzer.
    Das Foto mit der Parkbank begleitete Beatrice in ihren Gedanken bis zum Schlafengehen. Der überquellende Mülleimer konnte symbolisch für Iras Leben stehen, für die unbewältigten

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