Blinde Voegel
blankliegen.
Dominik Ehrmann Ja, bitte, Marja, halte dich zurück, dass du dir Sorgen machst, wissen wir. Das tun die meisten hier. Ich auf jeden Fall. Ich hoffe sehr, dass wir heute noch ein Lebenszeichen von Ira erhalten.
Nein, das werdet ihr nicht. Mit klammen Fingern strich Beatrice über das Touchpad des Notebooks. Die Hoffnung, die noch aus einigen Wortmeldungen sprach, bedrückte sie mehr, als sie erwartet hatte. Zu wissen, wie unausweichlich der demonstrative Optimismus, hinter dem sich einige der Schreiber verschanzten, ins Leere verpuffen würde, erschöpfte sie. Es machte das Lesen zu einer ermüdenden Pflicht.
Am liebsten hätte sie alles klargestellt, in zwei unmissverständlichen Zeilen. Aber sie würde warten und nach demjenigen Ausschau halten, der die Nachricht als Erster verkündete.
Das Telefon schrillte. Beatrice warf Florin einen flehenden Blick zu, und er nickte schicksalsergeben.
«Wenninger. Ach, Frau Crontaler. Was kann ich für Sie tun?»
Die hohe Frequenz einer aufgeregten Stimme am anderen Ende der Leitung war auch für Beatrice nicht zu überhören, obwohl sie kein Wort verstehen konnte. Doch der Ton verriet alles.
«Ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen», teilte Florin Crontaler mit, als diese kurz Luft holte. «Ich kann Ihnen keine Auskünfte über Personen geben, mit denen Sie nicht verwandt sind. Umgekehrt wäre Ihnen das auch nicht recht.» Das hektische Stakkato der Frau setzte wieder ein, und Beatrice empfand tiefe Dankbarkeit dafür, dass sie dieses Gespräch nicht führen musste.
«Ich weiß Ihre Hilfsbereitschaft zu schätzen.» Florin fiel nur selten jemandem ins Wort, aber wenn, dann mit Bestimmtheit. «Es ist gut möglich, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf Sie zukommen werden, nur heute kann ich Ihre Fragen nicht beantworten. Ich hoffe, Sie verstehen das.»
Er legte auf und stützte sein Kinn auf die Hände, den Blick auf die Tischplatte gesenkt. In Beatrice regte sich schlechtes Gewissen – die Online-Spuren waren eigentlich ihre Angelegenheit. Doch bevor sie etwas sagen konnte, hob Florin den Kopf und sah sie an. «Ich fliege dieses Wochenende nach Amsterdam. Es gibt einiges, das ich klären muss, damit ich mich wieder vernünftig konzentrieren kann.»
«Das ist gut. Flieg nur.»
Er nickte, langsam, ohne den Blick von Beatrice zu lassen, als suche er in ihrem Gesicht die Antwort auf eine lang bestehende Frage. «Ich weiß, dass ich bei diesem Fall» – er deutete auf die über den Tisch verstreuten Fotos und Notizen – «bisher nichts Nennenswertes zustande gebracht habe. Die Impulse kommen alle von dir, und dann lasse ich dich auch noch die meiste Arbeit machen. Das geht so nicht weiter.» Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Beatrice wäre gern zu ihm gegangen, um ihm über die Schultern zu streichen und ihm zu erklären, dass es in Ordnung war. Er hatte ihr so oft den Rücken gestärkt, dass sie froh war, einmal das Gleiche für ihn tun zu können.
«Was hat Crontaler gesagt?»
«Sie wollte wissen, was mit Ira Sagmeister ist. Es kam ja nichts in den Medien, wie üblich.»
Pressemeldungen regten Nachahmungstäter an, speziell bei Schienensuiziden, deshalb wurde fast nie darüber berichtet. Beatrice war im Grunde überzeugt davon, dass der Anblick der zerstückelten Körper in jedem Menschen den Wunsch auf ein solches Ende sofort im Keim ersticken musste, doch diese Bilder bekam keiner zu sehen, ausgenommen ein paar Glückspilze wie sie selbst.
«Ich kann sie schon verstehen. Ihre Lyrik-Gruppe kocht bald über vor lauter Sorge. Oder Sensationsgier, wie auch immer. Die wollen Klarheit. Als Nächstes wird sie wieder ihren Freund, den Staatsanwalt, anrufen.»
Florin schnaubte. «Gellmann? Mit dem habe ich bereits gesprochen, und es war ihm ziemlich peinlich, als Informationsleck dazustehen. Ich würde mich sehr wundern, wenn er Crontaler gegenüber noch einmal in Plauderlaune geraten sollte.»
Dann würden die Spekulationen so schnell kein Ende nehmen. «Ich bleibe am Ball, was die Gruppe betrifft, und Stefan wird gemeinsam mit Bechner die Spur zur Drogenszene im Auge behalten. Wenn du zurückkommst, haben wir hoffentlich Neuigkeiten für dich.»
Ein weiterer Schatten zog über Florins Gesicht. Er blickte zur Seite, dann auf seine Hände. «Weißt du, das ist schon wieder eine Beziehung, die mir einfach entgleitet. Ich fühle mich so unfähig, Bea. Und habe es so satt, das alles auf meinen Beruf zu schieben.»
«Aber
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